Wahlen im Zeichen der Vereinigung

Im Jemen wurden die Islamisten zweitstärkste Fraktion / Eine Einbindung in die Regierung würde Saudi-Arabien beruhigen, könnte aber westliche Geldgeber verschrecken  ■ Aus Sanaa James Dorsey

Eigentlich sollten die Parlamentswahlen im Jemen die Vereinigung ziwschen dem marktwirtschaftlichen Norden und dem sozialistischen Süden im Jahre 1990 politisch besiegeln. Die ersten freien Wahlen am Dienstag letzter Woche galten als ein Meilenstein auf dem Wege der Staatsbildung und wichtiger Schritt hin zu Pluralismus und Demokratie – in einer Region, die von königlichen Familien und Autokraten beherrscht wird. Doch nachdem radikale Islamisten als zweitstärkste Fraktion aus den Wahlen hervorgegangen sind, befürchten jemenitische Regierungsbeamte und westliche Beobachter, daß das Ergebnis im Lande selbst, unter den ölreichen arabischen Nachbarstaaten und den ausländischen Geldgebern Besorgnis auslösen wird.

Von den zwanzig Mitgliedstaaten der Arabischen Liga hat bislang nur Jordanien erfolgreich Parlamentswahlen mit mehreren Parteien durchgeführt. In Algerien verhinderte im Januar letzten Jahres ein Putsch den Sieg der Islamischen Heilsfront an den Urnen. „Was wir machen, befremdet die arabischen Staaten nicht nur, weil wir ein Mehrparteiensystem haben, sondern auch, weil wir den Islamisten eine Rolle zugestehen“, kommentierte Außenminister Adel Karim al Iryani die neue Lage.

Doch gerade der Ruf der islamistischen Islah-Partei nach Einführung der Sharia dürfte die Zukunft des vereinigten Landes wie auch die Haltung des Westen bestimmen. Denn die USA und andere westliche Staaten müssen nun ihre Einstellung zu islamistischen Parteien, die in demokratischen Wahlen erfolgreich sind, klären.

Nach den am Wochenende veröffentlichten Endergebnissen ging der Allgemeine Volkskongreß (GPC) von Präsident Ali Abdullah Saleh, der bis zu Vereinigung im Norden an der Macht war, mit 121 von 301 Sitzen als Sieger aus den Wahlen hervor und stellt künftig die stärkste Parlamentsfraktion. Die Jemenitische Sozialistische Partei (YSP), die bis 1990 im Süden regiert hatte, liegt mit 56 Sitzen hinter der Islah, die nun 62 Abgeordnete stellt. Zwölf Sitze fielen an eine nationalistische und mehrere kleine panarabische Linksparteien. Außerdem wurden 47 unabhängige Kandidaten gewählt.

Eine dritte Kraft

Nur wenige hatten erwartet, daß die Machtteilung zwischen GPC und YPC aus der Übergangsphase die Wahlen überleben würde. Aber viele JemenitInnen halten eine Beteiligung der YPC in der Regierung für ein entscheidendes Element, um die Union zwischen den beiden Landesteilen zu verwirklichen. Die YPC gilt als Vertreterin der Interessen der Bevölkerung des Südens.

„Das Wahlergebnis ändert radikal den politischen Konsens im Jemen. Es bringt eine dritte Partei ins Spiel, die die Haltung im Süden gegenüber der Vereinigung verkomplizieren konnte“, meint Michael Beyra, Koordinator niederländischer Entwicklungsprojekte im Jemen.

Obwohl die GPC eine Koalition mit der YPC eingehen kann, wäre es möglicherweise politisch klug und ein Zeichen der Stabilität, die Islah in die Regierung miteinzubeziehen. Ein Anzeichen für mögliche gewalttätige Auseinandersetzungen nach den Wahlen war ein Vorfall, bei dem Männer mit traditionellen Waffen und Gewehren eine Wahlkabine im Norden angegriffen und 15 Personen töteten. Um ihren politischen Anspruch zu bekräftigen, hat die Islah bereits die Ergebnisse wegen angeblicher Wahlfälschung angefochten und angedeutet, eventuell das Resultat nicht zu akzeptieren.

Eine Einbindung der Islah in die Regierung könnte auch dazu beitragen, die Spannungen mit Saudi- Arabien abzubauen. Der große nördliche Nachbar hatte 1990 rund 850.000 jemenitische Arbeiter wegen der pro-irakischen Haltung der Regierung in Sanaa während der Golfkrise ausgewiesen – mit einschneidenden Folgen für die jemenitische Wirtschaft. Eine Demokratie im Jemen mit einer entsprechend offeneren Einstellung gegenüber Frauen könnte für König Fahd akzeptabler erscheinen, wenn auch Islamisten in der Regierung sitzen.

Sorge um Frauenprojekte

Auf der anderen Seite jedoch könnte ein solcher Schritt westliche Geberländer wie die USA weiter verprellen – im Jemen, einem der ärmsten Länder der Welt, ein wichtiger Faktor. „Eine Wende hin zur islamistischen Rechten kann Folgen für Entwicklungshilfe haben, vor allem, wo diese die Sozialpolitik und die Stellung der Frauen berührt“, befürchtet Beyra. „Vermutlich wird das bedeuten, daß die westlichen Länder nur noch ungern Hilfsgelder zur Verfügung stellen.“ Die Niederlande, einer der größten Geldgeber im Jemen, fördern in ihren Projekten auch die Stellung der Frau in der Gesellschaft.

Eine Koalitionsregierung in Sanaa, die auch die Islah einschließt, könnte westliche Geldgeber vor die Entscheidung stellen, entweder ihre entwicklungspolitischen Ziele weiter zu verfolgen oder aber eine demokratische Entwicklung in einem Teil der Welt zu unterstützen, in dem Demokratie in erster Linie als eine Bedrohung von autokratischer Herrschaft und konservativ- islamischen Werten angesehen wird.

Im Lande selbst hatten viele in den Wahlen einen Ausweg aus der Isolation seit Beginn der Golfkrise und eine Garantie gesehen, auch künftig westliche Hilfe zu erhalten. Eine stärkere Zurückhaltung der Gebernationen nach den demokratischen Wahlen würde da den Argumenten der Golfstaaten gegen eine vergleichbare Entwicklung mehr Gewicht verleihen und das Vertrauen in das jemenitische Experiment erschüttern. „Wenn der Westen seine Worte ernst nimmt, muß er auch künftig den demokratischen Prozeß im Jemen unterstützen“, meint Beyra. „Die Hilfe zu reduzieren, nur weil uns ein Wahlergebnis nicht gefällt, würde den ganzen Prozeß unterminieren.“