Her mit der Bahnreform

15 Milliarden Mark Verluste bei den deutschen Bahnen  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Fast 15 Milliarden Mark Verluste fuhren die beiden deutschen Bahnen im vergangenen Jahr ein; der Umsatz schrumpfte gemessen am Vorjahresergebnis um 1,3 Prozent auf 24,6 Milliarden Mark. Der Schuldenstand dürfte in diesem Jahr rund 70 Milliarden Mark erreichen. Schuld an diesen tiefroten Zahlen sei vor allem die schlechte Konjunkturlage, sagte Bahnchef Heinz Dürr gestern in Berlin.

Denn während die Bahn beim Personenverkehr in beiden Teilen Deutschlands deutlich zugelegt hat, ging der Güterverkehr im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent im Westen und gar um 38 Prozent im Osten zurück. Besonders hart werde die Bahn von der Rezession in der Montan- und der Autoindustrie getroffen, erklärte Dürr.

Daß immer weniger Güter mit der Bahn verschickt werden, liege nicht an mangelnden Kapazitäten, versicherte der Bahnchef. Es handele sich hierbei nur um ein von Konkurrenten in die Welt gesetztes Gerücht, nach dem Motto: Liebe Kunden, liebe Mitbürger, wir würden ja so gerne unsere Güter der Umwelt zuliebe mit der Bahn transportieren lassen, aber leider hat die keine Kapazitäten.

In Wirklichkeit wären es nicht die Kapazitätsprobleme, sondern die zu hohen Kosten und in manchen Bereichen eine zu wenig moderne Ausstattung, die schuld seien am schlechten Abschneiden der Bahn im Güterverkehr. Zum Beispiel seien die Rangierkosten viel zu hoch, und die Anlagen im Teilladungsverkehr seien veraltet. Hier erkenne man, warum die Bahn so tief in den roten Zahlen steckt: weil nicht genug investiert worden sei. Bei den Investitionen dürfe also in Zukunft nicht gespart werden.

Im Personenverkehr ist die Situation viel günstiger. Vor allem das neue „Flaggschiff“ der Bahn, der ICE, hat im vergangenen Jahr fast 800 Millionen Mark eingefahren, und in diesem Jahr sollen es rund 1,2 Milliarden werden. Damit ist der ICE ein echter Konkurrent zum Flugzeug geworden: Knapp 40 Prozent der ICE-Sprinter-Passagiere sind nach Erhebungen der Bahn vom Flugzeug umgestiegen und etwa 10 Prozent vom Auto. Insgesamt konnte die Bundesbahn letztes Jahr im Personenverkehr 10,7 Milliarden Mark Umsatz machen, 800 Millionen Mark mehr als 1991. „Wenn das Angebot stimmt, wenn investiert wird, zeigt sich das im geschäftlichen Erfolg“, schloß Dürr daraus und kündigte einen weiteren Ausbau des ICE-Angebots an. Auch die Bahn Card sei mit 1,7 Millionen verkauften Exemplaren ein voller Erfolg für die Bahnen geworden.

Wer der Bahn vorwerfe, sie interessiere sich nicht mehr für den Nahverkehr, der täusche sich, sagte Dürr weiter. Mit 9,1 Milliarden DM Umsatz sei der Nahverkehr sogar umsatzmäßig der größte Geschäftsbereich der Bahn. Auch hier werde kräftig investiert, so werden im Gebiet der Reichsbahn Mitte dieses Jahres 450 neue Waggons eingesetzt, und auch im Ballungsraum München wird es demnächst Doppelstockwagen geben.

Auf den Streit zwischen den Bundesländern und der Bundesregierung über die künftige Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs wollte Dürr aber auch auf Nachfragen hin nicht eingehen.

Nur soviel: Die Möglichkeiten einer Aufteilung des Nahverkehrs in regionale Gesellschaften würden derzeit erwogen. In jedem Fall solle eine stärkere Verknüpfung aller Verkehrsträger in einer Region erreicht werden, nach dem Motto: „Ein Fahrplan – ein Fahrpreis – ein Fahrschein“.

Bei so vielen Verlusten fragt man sich, wie es weitergehen soll mit der Bahn. Dürr formulierte das Ziel für 1993 denn auch bescheiden: Man wolle versuchen, den Ertrag nicht allzu weit unter dem des Vorjahres zu halten. Aber 1993 sei auch das Jahr der Entscheidungen. Schon am 1.1.1994 soll die Bahnreform in Kraft treten. Dann soll es die Bahn AG endlich geben. Die Bahnreform sei viel mehr als nur die Sanierung eines todkranken Unternehmens. Hier gehe es vielmehr um die verkehrspolitische Weichenstellung für die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre.

Dürr gab sich dabei sehr optimistisch, daß die Politiker sich tatsächlich noch bis Ende des Jahres auf die Bahnreform einigen könnten. Die Bahnen müßten demnach „von den Fesseln des öffentlichen Dienst- und Haushaltsrechts befreit“ werden. Der Bund müsse die Altschulden der Bahn in Höhe von siebzig Milliarden Mark übernehmen, außerdem für die besonderen Belastungen aufkommen, die zur Beseitigung des technologischen Nachholbedarfs und der Sanierung der ökologischen Altlasten der Reichsbahn nötig seien. Ferner müsse der Neu- und Ausbau von Schienenwegen über zinslose Darlehen des Bundes erfolgen.

Wäre die Bahnreform schon letztes Jahr durchgesetzt worden, dann hätte es 1992 statt eines riesigen Verlustes sogar einen leichten Gewinn gegeben, warb Dürr für seine Reform.