Ohne die Sozis läuft auch künftig nichts

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts beginnt in Hamburg der Wahlkampf / SPD-Alleinherrschaft unwahrscheinlich, aber viele willige Koalitionäre stehen bereit  ■ Aus Hamburg Uli Exner

Henning Voscherau klopfte den hanseatischen Richtern kräftig auf die Schulter: „Die Mühlen der Justiz“, lobhudelte der gelernte Notar und derzeitige Hamburger Bürgermeister fachkundig, „die Mühlen der Justiz mahlen langsam, aber sie mahlen trefflich fein.“ Das war Ende März, und Voscherau freute sich über das Kündigungsurteil für die Hafenstraßen-Häuser. Spätestens seit Dienstag mittag, als das Verfassungsgericht auch der Hamburger Bürgerschaft die Kündigung zustellte, dürfte ihm dieses Pauschallob leid tun. Denn die Annullierung der Wahlen von 1991 trifft die Hamburger SPD samt gelbgrünschwarzer Vielleicht-Koalitionspartner auf dem völlig falschen Fuß.

Die mit Einstimmenmehrheit regierenden Sozialdemokraten haben sich in zwei Jahren Alleinherrschaft nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Im Gegenteil. Kaum war das Parlament 1991 zusammengetreten, hatte es sich unter tatkräftiger Führung der SPD durch einen hausgemachten Diätenskandal schon selbst paralysiert. Ein Zustand, der monatelang auch den Senat handlungsunfähig machte, ehe ein interner Kompetenzstreit zwischen der reformfreudigen Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller und dem knorrigen Bausenator Eugen Wagner wieder für ein wenig Leben in der Bude sorgte.

Wichtige Reformvorhaben, wie die Umstrukturierung der Verwaltung und die Neugestaltung der Verfassung, trudelten unterdessen orientierungslos durch Bürgerschaftsausschüsse und Senatskommissionen, notwendige Beschlüsse zur Bekämpfung der Wohnungsnot und zur Sanierung heruntergekommener Stadtteile wurden halbherzig angegangen oder auf die lange Beratungsbank geschoben. Das Wort „Regierungsstillstand“ geriet zum Hamburger Wort des Jahres.

Kein Wunder, daß der Chef der GAL-Bürgerschaftsfraktion, Martin Schmidt, unmittelbar nach Verkündung des Verfassungsgerichtsurteils „das Ende der sozialdemokratischen Alleinherrschaft“ bejubelte. Die Betonung liegt auf „Allein“, denn eine Regierungskonstellation ohne Beteiligung der SPD kann sich an der Elbe nach Jahrzehnten roten Filzes ohnehin keiner mehr vorstellen.

Grüne und gelbe Steigbügelhalter für eine Wiederwahl des erneut kandidierenden Henning Voscherau reihen sich schon vor dem Bürgermeisteramtszimmer auf. Ganz vorne: Oberrealissimo Martin Schmidt, der die Sozialdemokraten zwar für oppositionsreif hält, aber doch lieber mit ihnen regieren möchte. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Trotz dünner Mitgliederdecke und eines nicht gerade üppigen Spitzenpersonalstamms können die Grünen mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen. GAL-Landesvorstandsmitglied Peter Schaar rammt schon die ersten Pflöcke für mögliche Koalitionsverhandlungen ein: Umlenken der SPD in der Verkehrspolitik, Umlenken in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Und: „Eine Räumung der Hafenstraße wird mit der GAL nicht zu machen sein.“ Da sich die SPD- Spitze erst vor wenigen Wochen mal wieder zur „Beendigung des Projekts Hafenstraße“ verpflichtet hat, könnte es durchaus sein, daß die bunten Häuser nach den vermutlich im Herbst stattfindenden Neuwahlen einmal mehr hamburgische Geschichte schreiben.

Denn ob die FDP, bisheriger Lieblings-Koalitionspartner der SPD, zur Verfügung steht, ist nicht nur wegen der Fünfprozenthürde fraglich. Zwar können es einige freidemokratische Abgeordnete gar nicht abwarten, endlich wieder auf der Regierungsbank Platz zu nehmen. Aber zwischen dem FDP- Parteivorsitzenden Robert Vogel und Senatschef Voscherau hat sich in den vergangenen zwei Jahren eine solide Männerfeindschaft entwickelt.

Und die Hamburger CDU? Vergessen Sie's, liebe LeserIn. Schon bei den 91er Wahlen auf magere 35 Prozentpünktchen abgerutscht, kann die Union eigentlich nur noch tiefer sinken. Am Diätenskandalsüppchen hat sie brav mitgekocht; ihre Abgeordneten glänzen bei Sitzungen so auffällig durch Abwesenheit, daß Fraktionschef Rolf Kruse erst vor kurzem einen Teil der Parlamentarier öffentlich abmahnte; die Neuwahlen hat sie durch das an selige SED- Zeiten erinnernde Blockwahlsystem verschuldet; das Image der ewigen Verliererin sitzt ihr derart im Nacken, daß sich die Suche nach einem Kandidaten für das Himmelfahrtskommando Spitzenkandidatur äußerst mühselig gestaltet. Nein, von der amüsanten Vorstellung, die örtliche Union könne von ihren demokratischen Mängeln sogar noch profitieren, darf man sich verabschieden.

Angesichts dieser Konstellation, die durch die Unsicherheitsfaktoren Reps (in Hamburg bisher deutlich unter fünf Prozent) und Nichtwähler (bei der 91er Wahl stärkste Partei) nicht gerade übersichtlicher wird, nimmt Senatschef Henning Voscherau sein Herz schon wieder in beide Hände und hofft auf eine „Jetzt-erst-recht- Stimmung“ seiner Partei samt absoluter Mehrheit.