■ Während bei Sarajevo das "Parlament" der bosnischen Serben noch über eine Annahme des Friedensplans berät, gibt es in der UNO Unstimmigkeiten über das Oberkommando der für Bosnien vorgesehenen Friedens...
: Vorauseilende Befehlsverweigerung

Vorauseilende Befehlsverweigerung

„Es herrschte totale Stille.“ Mit diesen Worten beschrieb der venezuelanische UNO-Botschafter Diego Arria in der Nacht zum Mittwoch die gespannte Stimmung auf der soeben beendeten Sitzung des UNO-Sicherheitsrates. Ausgelöst hatte die Spannung UNO-Generalsekretär Butros Ghali mit einem eigentlich völlig selbstverständlichen Vorschlag. Die „politische und strategische Führung“ über die von im vorgeschlagene 70.000 Mann starke UNO-Truppe zur Überwachung und Durchsetzung eines Friedensabkommens für Bosnien-Herzegowina – vorausgesetzt, das immer noch tagende „Parlament“ der bosnischen Serben stimmt einem solchen überhaupt zu – müsse „die UNO übernehmen“. Und zwar, wie Ghali in einer Vorlage für den Rat formulierte, „für jederman klar ersichtlich“. Das oberste Kommando beanspruchte der UNO- Generalsekretär, der formal zugleich Chef des Sicherheitsrates ist, für sich. Wörtlich heißt es in Ghalis Papier: „Der Generalsekretär soll autorisiert werden, die Initiative zu ergreifen und dem Sicherheitsrat alle Maßnahmen zu empfehlen, die nötig sind, um militärische Optionen zu steuern, zu korrigieren oder auch zu beenden.“ Ausdrücklich bat der Generalsekretär um eine schriftliche Billigung seiner Vorlage. Doch die wurde ihm vom Sicherheitsrat verweigert.

Dabei ist bislang unklar, ob dieser Vorschlag nicht zumindest von einer Mehrheit der 15 Sicherheitsratsmitglieder unterstützt würde, Denn auf der Sitzung wurde nicht abgestimmt. Doch ausschlaggebend ist, daß US-Botschafterin Madeleine Albright den Vorschlag strikt ablehnte, wie ihr neuseeländischer Kollege Terence O'Brien nach der Sitzung mitteilte. Auch die Vertreter Frankreichs und Großbritanniens sagten nein. Damit bleiben die drei Westmächte bei ihrer Haltung, die sie bereits im Herbst 92 zur Ablehnung eines zentralen Punktes der „Agenda für den Frieden“ bewogen hat, die der UNO-Generalsekretär vor einem Jahr vorlegte. Darin schlug Ghali die Einrichtung einer ständigen Blauhelm-Truppe von rund 10.000 Soldaten vor, die dem UNO-Generalsekretär unterstellt wird und im Bedarfsfall schnell für friedenserhaltende Maßnahmen (peace- keeping) einsetzbar ist.

Die Unterstellung eigener Soldaten unter ein fremdes Oberkommando wird in London und Paris nach wie vor nicht geschätzt. So Frankreich oder Großbritannien mit eigenen Truppenkontingenten an einer der bisherigen UNO-Missionen beteiligt waren, haben sie auch zumindest zeitweise die Oberkommandierenden gestellt. Die USA, die an keiner der bisherigen peace-keeping-Missionen unter UNO-Kommando beteiligt waren oder sind, haben eine Unterstellung ihrer Soldaten unter fremden Oberfehl bislang sogar ausdrücklich abgelehnt. Kaum Beachtung fand bisher, daß Washington dieses bislang heilige Prinzip seit fünf Tagen aufgegeben hat: bei der Somalia-Mission der UNO, die am 1. Mai offiziell begonnen hat, verbleiben knapp 5.000 der bis zu 28.000 GIs, die seit Herbst 92 an der US-geführten Aktion „Restore Hope“ beteiligt waren.

Es sind nicht zuletzt die Erfahrungen aus der Aktion „Restore Hope“, die Ghali jetzt zu einer klaren Vorgabe für eine künftige Bosnien-Mission bewogen. Die Unklarheiten und Streitereien über Aufgabe und Mandat der unter „Restore Hope“ eingesetzten Soldaten (z.B. die Entwaffnung somalischer Banden) möchte der UNO- Generalsekretär in Bosnien vermeiden. Zudem hofft er, mit einer Ansiedelung des Oberkommandos bei seiner Führung und dem Sicherheitsrat, Rußland (und auch China) besser in die Mission einzubinden, die noch viel komplizierter und risikoreicher werden dürfte als die Somalia-Mission.

Rückzug mit Waffengewalt erzwingen?

Doch genau dies ist für Washington das Hauptmotiv, bei der bislang gewohnten Rollenaufteilung zu bleiben und zumindest das Kommando über die 20.000 bis 25.000 GIs zu behalten, die nach den von Ghali vorgelegten Planungen an der multinationalen 70.000-Mann-Truppe teilnehmen sollen. Zwar ist die Aufgabe dieser Truppe zumindest in einer ersten Phase (Überwachung eines Waffenstillstandes, Sicherung von Hilfskonvois) nicht gefährlicher und eskalationsträchtiger als bislang in Somalia. Doch spätestens, wenn die bosnisch-serbischen Truppen sich weigern sollten – trotz einer politischen Zustimmung ihres „Parlaments“ zum Vance-Owen-Plan –, rund 35 Prozent des von ihnen besetztgehaltenen Gebietes zu räumen, könnte der UNO-Einsatz in Bosnien eine ganz neue Qualität bekommen. Ob die UNO-Soldaten dann das Mandat haben, den Rückzug auch mit Waffengewalt zu erzwingen und wie weit sie dabei gehen sollen – all diese wichtigen Details sind noch völlig ungeklärt. Auch Ghalis Vorlage an den Sicherheitsrat enthielt hierzu keine konkreten Vorschläge. Die notwendigen „Präzisierungen“ sollten zwischen der UNO, der Nato und den voraussichtlich in Bosnien zum Einsatz kommenden Militärs aus Nicht- Nato-Staaten (Schweden, Rußland, Ukraine u.a.) erfolgen. Und erst dann – wenn überhaupt – läßt sich auch der jetzt aufgebrochene Konflik um das Oberkommando über diese Truppe beilegen.

Zusätzlich plagen die Planer in New York aber noch andere Sorgen: bisher weiß niemand, wie die umfangreichste und teuerste peace-keeping-Mission der UNO überhaupt finanziert werden soll. Die im laufenden Haushaltsjahr veranschlagten 2,8 Milliarden US- Dollar für Blauhelmaktionen sind längst ausgeschöpft. Zudem waren bis Ende April 1,5 dieser 2,8 Milliarden Dollar von den Mitgliedsländern noch nicht in die UNO- Kasse einbezahlt worden.