Aderlaß bei der Gröpelinger SPD

■ Asylschiff-Entscheidung: Beiratsfraktion fast komplett ausgetreten, Partei und Bürgerschaftsfraktion sauer

Eine Entscheidung mit Folgen: Weil der Senat beschlossen hat, daß das Wohnschiff für Asylbewerber nun doch in den Kohlehafen kommen soll, ist seit gestern die SPD-Beiratsfraktion in Gröpelingen von zehn auf zwei Mitglieder geschrumpft. Acht Mitglieder, darunter der Beiratssprecher, der Fraktionssprecher und sämtliche AusschußsprecherInnen, wollen ihre Parteibücher zurückgeben. Das kündigten sie am Mittwoch in einer Stellungnahme vor der Beiratssitzung an — und erhielten viel Beifall aus der Bevölkerung. Ihre Mandate wollen die acht DissidentInnen nicht zurückgeben. Sie haben sich darauf verständigt, eine unabhängige Fraktion zu bilden.

Auch nach mehreren Beratungen und Krisengipfeln zwischen Beiratsfraktion, Landesvorstand und Bürgerschaftsfraktion war die SPD auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen. Zwar hatten sich Landesvorstand und Bürgerschaftsfraktion gegen den Standort Gröpelingen ausgesprochen, der Senat jedoch hatte anders entschieden — gegen die Stimmen der Grünen, aber mit denen der FDP und SPD. Und gegen das Votum des Beirats: „Der Senat hat sich in arrogenter Weise über all das hinweggesetzt“, sagte Hermann-Josef Stell, Fraktionssprecher der SPD im Beirat. Sowohl der Landesvorstand als auch Fraktionschef Dittbrenner haben die Entscheidung scharf kritisiert und eine Revision verlangt.

Zuerst hatte Sozialsenatorin Irmgard Gaertner noch dafür plädiert, den Standort Weserbahnhof in der Nähe der Innenstadt noch eingehender zu prüfen. Doch mit dieser Idee ist sie überstimmt worden, auch von ihren eigenen Parteifreunden im Senat. Am Ende stimmte sie dann aber auch für den Kohlehafen. Nur die beiden Grünen Senatoren Fücks und Trüpel waren noch dagegen. Klaus Wedemeier war bei der Abstimmung nicht dabei. Er war wegen der Stadtwerke-Affäre vor den Landesvorstand zitiert worden. „Wedemeier hatte auch eine andere Direktive ausgegeben“, wurde Beiratsmann Rohde aus dem Senat hintertragen. „Aber Kröning hat das anders dargestellt.“ Volker Kröning und Irmgard Gaertner sind für Freitag zum Landesvorstand geladen.

Die Senatsentscheidung hat bei der Gröpelinger SPD ein mittleres politisches Beben verursacht: Nicht allein die Beiratsfraktion ist perdu, auch in den Vorständen der Ortsvereine klaffen seit Mittwoch große Löcher. Wolfgang Rohde, einer der Ausgetretenen, war nicht allein Beiratssprecher, sondern außerdem Ortsvereinsvorsitzender. Und es wird nicht allein bei den Funktionären bleiben. Als Buten und Binnen über die Senatsentscheidung berichtete, stand beim Beiratssprecher das Telefon nicht mehr still. Rohde: „Am Ende waren das gut 35 Anrufer, die auch austreten wollen. Aber die Zahl ist sicher noch höher, weil da ja auch oft Familien dahinter stehen.“

Dabei hatte die SPD-Führung am Mittwoch noch einmal eiligst versucht, die Austrittswelle zu stoppen. Parteichef Konrad Kunick und der Unterbezirksvorsitzende Peter Sakuth waren eigens zur Sitzung der Beiratsfraktion angereist. Aber vergebens. Dazu war die Unterstützung aus der Partei und dem Stadtteil beim Kampf gegen das Asylschiff zu eindeutig. Da nützte es auch nichts mehr, daß die SPD-Bürgerschaftsfraktion mit dem Datum vom Mittwoch in einem Dringlichkeitsantrag eine Entscheidung gegen den Standort Kohlehafen verlangt hatte.

Die Austritte sind nur der Schlußpunkt unter einem seit langem gärenden Konflikt zwischen den Gröpelinger Genossen und der Landes-SPD. Die habe den Stadtteil schon lange aufgegeben, so lautet der Vorwurf, obwohl die SPD dort nach wie vor die höchsten Stimmenanteile hatte. „Das war eine Politik der verbrannten Erde“, sagte Rohde resigniert.

Ob die Entscheidung im Senat noch einmal zurückgeholt wird, das ist noch unklar. Irmgard Gaertner, schon einmal überstimmt, wird nicht noch einmal die Initiative ergreifen: „Ob der Bürgermeister das Ruder noch einmal herumreißen will, das weiß ich nicht“, sagte sie gestern zur taz. Vorerst ist die Führungscrew der SPD geschockt. Irmgard Gaertner: „Ich bin im Moment richtig deprimiert.“ Jochen Grabler