Der Krieg wird in Karlshorst beendet

Am 8. Mai 1945 unterzeichnete die Wehrmacht die Kapitulation / Gedenkstätte soll 1995 ein Museum der deutsch-russischen Beziehungen werden  ■ Von Anita Kugler

Am 8. Mai 1945 liegt der sowjetische Kriegsberichterstatter Konstantin Simonow im Gras und langweilt sich. Seit Stunden wartet er am Flughafen Tempelhof auf eine ganz bestimmte Maschine. Am späten Morgen kommt die „Douglas“ endlich. Als erster klettert Generalfeldmarschall Keitel heraus. Er trägt einen langen Regenmantel und eine hohe Generalsmütze. Mit weit ausholenden Schritten, ohne einen Blick für die ihn begleitenden alliierten Offiziere, schreitet er zu einem Wagen, der ihn nach Karlshorst bringen soll. Hinter ihm gehen Generaladmiral Friedeburg und Generaloberst Stumpff. Konstantin Simonow folgt dem Auto. Sie fahren durch menschenleere Straßen, links und rechts nichts als Trümmer: „Es wird wohl kaum ein deprimierenderes Bild geben können als dieses, das sich den deutschen Generälen auf ihrem Weg zur Unterzeichnung der Kapitulation bietet“, schreibt er in sein Tagebuch.

Wieder warten. Die für zwei Uhr mittags angesetzte Unterzeichnung verzögert sich wegen Verfahrensfragen bis in den Abend. Endlich erscheinen die Vertreter der Alliierten, Marschall Schukow, der Oberkommandierende der Sowjetischen Streitkräfte, der britische Luftmarschall Tedder, der amerikanische General Spaatz und der Oberbefehlshaber der französischen Armee, de Lattre des Tassigny. Alle lächeln, die Fotografen führen sich auf wie die Besessenen, klettern auf die Tische, lärmen herum. „Einer unserer Kameraleute“, beschreibt Simonow die Szene, „stößt mit dem langen Griff seines Apparates an den Kopf eines amerikanischen Admirals. Der offenbar an das Gebaren der Reporter gewöhnt, lächelt gutmütig und winkt ab: okay. Doch unsere Ordnungshüter, die solche Szenen nicht kennen, hätten den Pechvogel um ein Haar aus dem Saal geschleppt.“

Als der Lärm endlich im Saal verstummt, erhebt sich Schukow und erklärt die Sitzung zur Entgegennahme der Kapitulation der Wehrmacht für eröffnet. Nach Moskauer Zeit ist es 23.01 Uhr. Die Tür öffnet sich, Keitel, Friedeburg und Stumpff treten herein und nehmen Platz. Während die Alliierten die Urkunde unterzeichnen, beobachtet Simonow die deutschen Militärs. „Keitels Gesicht nimmt einen schrecklichen Ausdruck an. In Erwartung der Sekunde, wo die Reihe an ihm ist, sitzt er steif und unbeweglich. Der hochgewachsene Offizier, der in straffer Haltung hinter seinem Stuhl steht, weint, ohne mit einem Muskel zu zucken.“

Doch dann befiehlt Schukow den Deutschen, aufzustehen und an seinem Tisch die Kapitulation zu unterzeichnen. Keitel zieht seinen Handschuh aus, unterzeichnet mehrere Dokumente, setzt sich wieder an seinen Platz, „fährt sich mit der rechten Hand ins Gesicht und über die schweren schlaffen Wangen, knetet und knetet sein Kinn“ und darf endlich den Raum verlassen. Nach Moskauer Zeit ist es jetzt 0.43 Uhr. Die Oberkommandierenden der Alliierten atmen hörbar auf. Der Krieg ist zu Ende. In Berlin reißen verhungerte Menschen Stücke aus Pferden, Frauen werden vergewaltigt, SS-Soldaten verbrennen ihre Uniformen, in Rußland weint die Erde. Im Villenviertel von Karlhorst duftet der Flieder.

Neukonzeption für das Kapitulationsmuseum

Noch heute weisen Flaggen das Haus als offizielles Gebäude aus, auch wenn die Farben – in Weiß- Blau-Rot und Schwarz-Rot-Gold – sich geändert haben. Noch immer pflegen russische Soldaten den Rasen und russische Aufseherinnen die Räume. Noch immer ist fast das ganze Haus mit dem monströsen Titel „Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945“ so gestaltet, wie es die Sowjets 1967 für ihre Soldaten und zum Ruhme der Armee einrichteten. Aber um eine Käseglocke herüberzustülpen und das Museum als ein „Museum eines Museums“ zu konservieren, ist es zu spät. Schon sind die Bilder des „antifaschistischen Schutzwalls“ im Vorraum des Kapitulationsraumes ausgetauscht gegen Fotografien von Mauerspechten und strahlenden NVA-Soldaten auf der westlichen Seite des Brandenburger Tors. Es waren russische Offiziere, die diese Veränderung vorgenommen haben, obwohl im Gästebuch vielfach die Bitte zu lesen ist, doch alles so zu lassen, wie es einmal war. Aber die große Veränderung steht noch bevor. Seit zwei Jahren arbeitet eine deutsch- russische Historikerkommission an einer Neukonzeption, am 8. Mai 1995 soll das Haus als ein Museum der deutsch-russischen Beziehungen ab 1917 wiedereröffnet werden. „Im Mittelpunkt wird weiter die Geschichte des Krieges stehen, aber die Gewichte werden verändert“, sagt Helmut Trotnow, wissenschaftlicher Sekretär der Kommission. „Gezeigt werden muß, daß nicht wie im 19. Jahrhundert Armeen Krieg gegeneinander geführt haben, sondern der Krieg zwischen den Menschen stattfand.“ Morgen wird die Kommission ihre konzeptionellen Überlegungen der Presse vorstellen, und es erscheint ein Sonderheft des Historischen Museums. Mit Sicherheit wird in Karlshorst zum 50. Jahrestag des Kriegsendes ein sozialhistorisch einwandfreies und pädagogisch korrektes Museum zu sehen sein. Aber gerade weil die Zeiten sich geändert haben, wirkt der ganze heroische Kitsch heute unvergleichlich nostalgisch und deshalb so liebenswert.

Gedenkstätte Berlin-Karlshorst, Rheinsteinstraße, Di.–Fr. 9–13, 15–18 Uhr, Sa. 9–16, So. 9–14 Uhr.