Der Blick der Projektionisten

■ „Das bleibt das kommt nie wieder“ – Ein Dokumentarfilm von Herbert Schwarze im Regenbogen-Kino

Vielleicht gibt es im Kino zwei Arten, Bilder zu machen; indem man entweder von der anderen Seite der Leinwand ausgeht oder aber von der Vorführkabine. Die Mehrheit im Kino bildet die große Masse der Illusionisten und Zauberkünstler, denen das Bild ein Illusionsraum ist, während die kleine Klasse der Projektionisten weiß und zeigt, daß sie nach vorne schickt, was im Saal aus der Tiefe des Spiegels zu kommen scheint.

Der Regisseur Herbert Schwarze, zur Zeit noch Student an der DFFB, arbeitet nebenbei als Filmvorführer. Er sagt: Dort, aus der Distanz der Kabine, sehe man Filme anders und lohne kaum ein Film einen wiederholten Blick. Die Faszination dringe nicht bis obenhin durch. Sein melodramatischer Dokumentarfilm „Das bleibt das kommt nie wieder“ ist aus dieser Distanz entstanden; er hebt mit neuartigen ästhetischen Mitteln die traditionelle Unterscheidung zwischen Dokument und Fiktion auf. Geschichte des Kinos und die Geschichte Deutschlands scheinen sich in der Biographie der Mutter des Regisseurs zu berühren.

Das Produktionsverhältnis Sohn/Mutter beziehungsweise Regisseur/Darstellerin wird dabei zur Diskussion gestellt. Der Film ist zunächst einmal eine kinomategraphische Untersuchung, die der eigenen Verstrickung in Erfahrungsmuster nachgeht, die keineswegs politisch oder historisch abgrenzbar sind. Ein kulturgeschichtlicher Raum Deutschlands wird durchlaufen, dort werden Indizien für gesellschaftlich bestimmte Distanzverhältnisse im Verkehr der Körper und in einer romantischen Bildvorstellung aufgesucht.

Schwarze entdeckt von Caspar David Friedrich (der so etwas wie den melancholischen, 1848 politisch gescheiterten Beobachter in die Malerei gebracht hat: niemals ist der Betrachter im Bild), über Veit Harlan bis hin zu Werbefilmen eine optisch distanzierte Wahrnehmung und thematische Verbindungen; es entstehen Landschaften unter Ausschluß des Körpers. Es gibt da eine Verdrängungsleistung, die sich gegen den Körper als Objekt von Erfahrung richtet und die man in Malerei, Sprache, Musik und Kino verfolgen kann.

Eine thematische Reihe bildet das Problem der Kontakterfahrung im Film. Die Mutter formuliert ihre Widerstände gegen körperliche Nähe und ihren Wunsch, lieber als Mann geboren worden zu sein. Der Film zeigt an dieser Stelle Dokumentaraufnahmen von Bundeswehrmanövern, in denen Männer Formen eines ganz anderen Körperverkehrs durchexerzieren, aber auch Angebote einer möglichen Auslöschung des eigenen Körpers in einer Gruppe.

Die scheinbar uneinheitlichen Materialien des Films machen transparent, wie und warum das Bedürfnis nach Körpernähe mit Gesellschaft zu tun hat. Die fiktionalen Elemente des Films (Spielfilme aus der Jugend der Mutter – Filme des Nationalsozialismus) erhalten eine dokumentarische Qualität, denn es läßt sich ihnen ein bestimmtes Verhältnis der Körper zueinander oder eine bestimmte Haltung zum Körper überhaupt entnehmen, andererseits erhalten die sogenannten privaten oder dokumentarischen Elemente eine fiktionale Qualität, da in ihnen Körper nicht als natürliche, sondern als gesellschaftlich inszenierte erscheinen.

Am Schluß wird man bemerken, daß die eigenen Widerstände gegen den Film Teil seines Themas waren. Lars Henrik Gass

„Das bleibt das kommt nie wieder“: heute und Sonntag, 22.30 Uhr im Regenbogen-Kino, Lausitzer Str. 22 (im Doppelprogramm mit Harlans „Opfergang“).