Flüchtlingsarbeit wird in Illegalität gedrängt

■ Praktische Hilfe für Flüchtlinge verstößt nach Asylrechtsänderung gegen Ausländergesetz / Flüchtlingsinitiativen berieten über zukünftige Arbeit

Berlin. „Wie können wir Flüchtlinge vor dem Gesetz beschützen?“ Das ist die Kernfrage künftiger Flüchtlingsarbeit in Deutschland, meinten übereinstimmend Vertreter von Flüchtlingsgruppen bei einer Asyl-Diskussion in der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in Dahlem am Mittwoch abend. Es müsse viel früher damit angfangen werden, „Flüchtlingen einen legalen Status zu erkämpfen“. Denn nach der Änderung des Artikel 16 des Grundgesetzes werde die Zahl „der Illegalen“ wegen der eingeschränkten Rechtsweggarantie in die Höhe schnellen, berichtete Elisabeth Reese von der Initiative Asyl in der Kirche.

Flüchtlingsarbeit wird viel stärker noch als bisher den Charakter zivilen Ungehorsams annehmen. Das ist der unausgesprochene Konsens unter denen, die in Berlin ganz praktisch Asylsuchende, Kriegs- und Armutsflüchtlinge betreuen. „Darf die Polizei rein?“ lautete etwa die bange Frage eines Mannes. Der schlug vor, Flüchtlingen in Häusern und Kirchen privat Asyl zu gewähren. Und wollte dann wissen, ob er sich strafbar mache. Elisabeth Reese – sie arbeitet bei der Asylberatungsstelle der Kreuzberger Heiligkreuzgemeinde – stellte klar: Beinahe jede Art aktiver Flüchtlingshilfe könne nach der Änderung des Asylartikels als „Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz“ gewertet werden.

Immer wichtiger wird es auch, klandestine und abgeschottete Aktionen von Polizei und Bundesgrenzschutz (BGS) gegen Flüchtlinge ans Tageslicht zu bringen. „Wir müssen die Leute aus der Isolation herausholen“, nannte Frank Godemann ein Prinzip des Arbeitskreises Asyl der Katholischen Studentengemeinde in Berlin. Der Zeitraum werde immer kürzer, in dem verfolgte Menschen hierblieben. Er müsse genutzt werden, etwa indem man Kontakt zu den Menschen in den Sammelunterkünften herstelle.

Roma und Sinti finden offenbar den Weg in die Zentralen Aufnahmestellen gar nicht mehr, die seit der letzten Änderung des Asylverfahrensgesetzes im Juli 92 eingerichtet werden. Direkt an der Grenze greift der BGS Roma auf und schiebt sie ab. Es gebe Fälle, in denen der BGS Roma von den Warteschlangen vor den Asylantragsstellen weg festgenommen hätte, berichtete Elisabeth Reese. Michael Klockmann von der Antirassistischen Initiative schilderte, daß seit Mitte Januar von Schönefeld aus täglich Maschinen flögen, die Roma und Sinti nach Rumänien zurückbringen. Im Februar seien 3.500 Menschen über Schönefeld abgeschoben worden; lediglich 66 hätten ein abgeschlossenes Asylverfahren hinter sich gehabt. „Das Asylrecht wird für eine Gruppe ganz außer Kraft gesetzt“, sagte Klockmann, „wenn es dem BGS gelingt, im Schutze der Nichtöffentlichkeit direkt und massenhaft abzuschieben.“ Klockmann sprach davon, daß dies regelrechte Deportationen seien. Sie seien aufgrund des Rückführungsabkommens möglich, das die Bundesrepublik mit Rumänien abgeschlossen hat.

Flüchtlingsarbeit müsse künftig viel stärker auf die Genfer Flüchtlingskonvention bezogen werden, empfahl Wolf-Dieter Narr. „Wir müssen damit Politik machen.“ Die Konvention verhindere schon jetzt, daß ein Großteil abgelehnter Asylbewerber aus der Bundesrepublik abgeschoben werden dürfe, sagte der Politikprofessor Narr, der zu den mehreren hundert AufruferInnen für eine „friedliche Belagerung des Bundestages“ am 26. Mai zählt. Narr forderte ebenso wie die praktisch arbeitenden Flüchtlingsgruppen, Asyl unter „halb legaler Decke“ zu gewähren. „Wir müssen mit übergesetzlich begründetem Recht gegen das gesetzliche Unrecht angehen“, sagte er. Ob eine Frau mit drei Kindern in den Libanon abgeschoben werde oder nicht, das mache für sie „den kleinen Unterschied aus, daß es ums Ganze geht“.

Narr appellierte, daß es über die Aktionen am sogenannten Tag X hinaus um eine „Opposition gegen die herrschende Flüchtlingspolitik“ gehe. Die Asylrechtsänderung, „die einer ersatzlosen Streichung dieses Grundrechts gleichkommt“, sei Teil der „Festung Europa“, die aufgebaut werde. Auch in dieser Festung, so Narr, würden „bürgerrechtliche Repressionen zunehmen“. Christian Füller