Sah Heckelmann Akte vor dem Attentat?

■ Parlamentarier zweifeln erheblich an der Version des Innensenators / Staatsschutz kannte Mykonos-Attentäter

Berlin. Mit unzufriedenen Gesichtern verließen gestern mittag die Mitglieder des Verfassungsschutzausschusses des Abgeordnetenhauses die Dienststelle des Landesamtes für Verfassungschutz (LfV) in der Clayallee. Den ganzen Vormittag hatten sie in geheimer Sitzung Einsicht in die dort gelagerten Akten über den Komplex „Mykonos-Attentat“ genommen und die Innenverwaltung dazu befragt. Die Auskünfte, die sie erhielten, waren allerdings unzureichend. Für das Ausschußmitglied des Bündnis 90/Grüne, Renate Künast, ist „der Vorgang nicht erhellt, vielmehr stellen sich eine Vielzahl neuer Fragen“. Auch ihr Kollege Helmut Hildebrandt (SPD) findet die Auskünfte „nicht zufriedenstellend“.

Strittig ist für ihn nach wie vor die Kernfrage, ab wann Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) über den Hisbollah-Aktivisten Kazem Darabi informiert war, der als einer der Beteiligten des Mykonos-Attentates verhaftet wurde. Dieser war den Berliner Sicherheitsbehörden bereits seit Jahren bekannt. Im Februar 1992 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgrund von Hinweisen auf Darabis Gefährlichkeit dem Berliner LfV nahegelgt, eine G 10-Maßnahme (Telefon- und Postüberwachung) gegen den Iraner einzuleiten. Zur gleichen Zeit hatte der Staatsschutz mit Darabi ein „präventives Kontaktgespräch“ geführt, angeblich um ihn von kriminellen Aktivitäten abzuhalten. Auch der Verfassungsschutz wurde über diesen Kontakt informiert. Trotz dieser eindeutigen Hinweise auf die Gefährlichkeit Darabis dauerte es acht Monate, bis Ende September, also nach dem Attentat, die G 10-Maßnahme eingeleitet wurde. Das LfV begründete dies im nachhinein mit der Suche nach einem Dolmetscher.

Bevor die Überwachung eingeleitet wurde, mußte die Akte Darabi dem Innensenator zur Begutachtung vorgelegt werden. Dieser muß den Fall als so brisant eingeschätzt haben, daß er den parlamentarischen G 10-Ausschuß um eine Bewilligung der Überwachungsmaßnahme gebeten hat. Schon aufgrund der dafür erforderlichen Zeitläufe bestehen erhebliche Bedenken gegen die Version der Innenverwaltung, wonach Heckelmann erst nach dem Attentat Kenntnis von der von Darabi ausgehenden Gefährdung hatte.

Weitere gravierende Sicherheitsmängel werden auch bei der Tagung der Sozialistischen Internationalen, zu der die ermordeten Politiker nach Berlin gereist waren, ausgemacht. So soll an der vorbereitenden Lagebesprechung der Sicherheitskräfte das LfV gar nicht beteiligt gewesen sein.

Am Montag berät der Ausschuß erneut. Dieter Rulff