Stereo in Kopfphon Wagenwinde

Eine Ausstellung über Poesie und Prosa von Gebrauchsanweisungen in Essen  ■ Von Thomas Fechner-Smarsly

Es muß einem ja alles erklärt werden. Warum sonst gäbe es Gebrauchsanweisungen? Und die sind – gar keine Frage – schon längst ein Massenmedium. Kein Tabakpäckchen, auf dem einem nicht der richtige Dreh beigebracht würde, keine Erdnußdose ohne den knusperleichten Deckeldruck als Comicstrip, kein Kopiergerät der Redaktionen, auf dem nicht ständig eine Zickzacklinie zwischen zwei Kreisen aufleuchtete; und man liest nach: aha, Papierstau. Manche dieser Erläuterungen sind zwei Quadratzentimeter groß, andere hunderttausend Seiten lang, so die Bedienungsanleitung eines Flugzeugs.

Nun wird einem sogar der Gebrauch von Gebrauchsanweisungen erklärt, und zwar in einer Ausstellung des Designzentrums Nordrhein-Westfalen in Essen. Ob Zahnstocher oder Reisewecker, Nasenspray oder Netzstrumpf, Laptop oder Luftmatratze – alles, aber auch alles verlangt nach wort- und bildreicher Handreichung. Das belegen die zwanzig Vitrinen voller Beispiele nebst zugehöriger Gegenstände. Außer zeitgenössischem Erklärwerk findet sich auch historisches und sorgt für feuchte Augen eingedenk der eigenen Jugend: Da ist der gute alte „Lenco- Cleaner“, nach dessen Benutzung die Lieblingsplatte nur noch „naß“ abzuspielen war. Und gleich daneben der Lux-Papierfilter, den man schon im Krabbelalter voller Experimentierlust verkehrt herum in den Staubsauger stopfte. Eine Anleitung zum Hemdenbügeln für den moralisch gestärkten Herrn der sechziger Jahre (theoretisch) neben einem Führer zur Erlangung des schwarzen Knotens auf dem Wege zum nahkampferprobten Krawattenbinder (praktisch): Wer will, kann sich gleich anhand eines solchen Accessoires strangulieren. Hängt in drei modischen Farben aus.

Praktische Versenkung in den Gegenstand gestatten auch einige andere Gerätschaften und deren Erläuterung, etwa zum Falten eines Papierflugzeuges oder zum Üben der Sicherheitsvorkehrungen in einem Flugzeug.

Vor allem die zunehmende Komplexität technischer Geräte machen diese Erklärungen nicht nur immer unentbehrlicher, sondern auch umfangreicher. Visuelle Vorführung und Simulation des Gebrauchs werden dabei zunehmend wichtiger: als Symbole oder Piktogramme, als On-line-Gebrauchsanweisungen (zum Beispiel am Bankautomat) oder als electronic manual: Ein Computerprogramm ermöglicht, vermittels Maus und angeklickter Symbole, genau das erklärt zu bekommen, was man, etwa bei einer Reparatur einer Maschine, wissen muß.

Manchmal fällt die Lektüre von Piktogrammen noch leicht, wenn etwa auf einem kleinen Schild eine symbolische Hand ein symbolisches Stück Papier über einen symbolischen Korb hält: Abfälle hier plazieren. Umgekehrt bedeutet ein aufgespannter Regenschirm in einem kleinen Quadrat nicht, daß der Karton, auf welchem sich das Piktogramm befindet, aufgespannte Regenschirme enthält. Aber wer weiß schon, wie herum man die Scheckkarte einführen muß? Jeder Automat schreibt einem etwas anderes vor.

Neueste Tendenz: Das human interface, eine Art künstlicher Intelligenz zu komplexen Apparaturen, die eine Kommunikation zwischen Maschine und Benutzer ermöglicht und so auf seine Probleme und Ansprüche eingeht.

Die Ausstellung versteht sich durchaus kritisch. Man vergleiche einmal die Hochglanzbroschüren der Autoindustrie mit deren Bedienungsanleitungen: eng gedrucktes Technikerdeutsch auf angegilbtem Papier, von einem mäßig begabten Karikaturisten oft schludrig bebildert. An der Absetzbarkeit ihrer Produkte ist der Industrie weitaus mehr gelegen als an der anschließenden Benutzbarkeit. Denn die Beschäftigung von technischen Redakteuren oder Graphikdesignern kostet Geld. Peter Zec, der Leiter des Designzentrums, hält das allerdings für unabdingbar. Ihm zufolge „müssen Industriedesigner die Produkte so selbsterklärend und menschengerecht beschreiben, daß die Bedienung leichtfällt“.

Wo bleibt da die „Poesie der Industriekultur“ aus dem Untertitel der Ausstellung? Hier wenigstens eine Kostprobe: „Setzen Sie das Stereo in Kopfphon Wagenwinde ein, die Macht ist an, sonst ist die Macht ab.“ Solche Haiku der Technik entstehen in der Regel durch schlechte Übersetzungen von Gebrauchsanweisungen ausländischer Produkte. Andererseits stellt sich damit auch die Gattungsfrage. Gerade hier bieten sich völlig neue Perspektiven für die (literarische) Forschung: die Bedienungsanleitung als sich selbst dekonstruierender Text.

Auch den Philosophen eröffnen sich neue Möglichkeiten: zu einer praktischen Hermeneutik des Alltags. Einen Weg gewiesen hatte Charles Jencks in den siebziger Jahren mit seinem ebenso pragmatischen wie lustbetonten „adhocicism“.

Der Gebrauch eines Gegenstandes hängt davon ab, was man damit macht: ein Stuhl ist eine Haushaltsleiter, die Haushaltsleiter ein Bücherregal, das Bücherregal ein luftkammergestützter Wäschetrockner. Schreiben Sie sich Ihre Gebrauchsanweisung selbst!

„Gebrauchsanweisungen oder eine Poesie der Industriekultur. Führer durch die Ausstellung in Form einer Gebrauchsanweisung“. Designzentrum Nordrhein- Westfalen, Essen. Dienstag–Freitag: 10–18 Uhr, Samstag: 10–16.30 Uhr. Noch bis bis zum 5. Juni