Kann Pinsel säubern

■ Robert Hughes' solide Kunstkritik unter dem brüchigen Dach ewiger Werte

Das Buch ist nicht halb so dämlich wie sein Titel. Kritik ist ein Standpunkt, und die Übertragung des amerikanischen Originals „Nothing If Not Critical“ in „Denn ich bin nichts, wenn ich nicht lästern darf“ ist nur Schritt Nummer eins in der Strategie des populär orientierten Verlags, die Kunstkritik als junk food an Leserin und Leser zu bringen.

Was auf 500 Seiten geboten wird, ist eine eklektische Enzyklopädie der Kunstgeschichte, von Hans Holbein über Max Beckmann bis zu Louise Bourgeois. Hughes, 1938 in Australien geboren, ist seit Anfang der siebziger Jahre Kunstkritiker des Nachrichtenmagazins Time, und dies sind seine gesammelten Kritiken. Das eigenartige Ethos, das von den Nachrichten-Kritikern verlangt, jede Geschichte bei Alpha zu beginnen, trägt zur Homogenität der Texte bei, wenn sie einmal versammelt sind. Die Lebensgeschichten werden noch einmal erzählt und verwoben im Kontext der Begehung, in der sich eine Ausstellung – meist Retrospektiven – dann als stark oder matt, lückenhaft oder beispielhaft erweist; wobei Hughes Standpunkt den Vorteil hat, in bezug auf seine Wahrnehmungsgrenzen relativ starr zu sein, also wiedererkennbar.

Hughes ist erst 1970 nach New York gekommen, rechtzeitig, um die amerikanische Hybris der international überlegenen Kunst noch voll einzuatmen, aber zu spät, um Papst irgendeiner Bewegung zu werden. Es ist erfreulich, mit welchem Mut zur Klarheit er die überlieferten Pfründe der amerikanischen Aufbruchsmalerei auf ihren Wert schätzt: Alex Katz wird auf seinem Platz als raffiniert dekorativer Maler bestätigt und gegen Lobhudelei in Schutz genommen, Lee Krasner wird gegen den drückend elitären Ruf ihres früh verstorbenen Mannes Pollock als Malerin von Rang rehabilitiert, und Willem de Kooning erfährt Lob just mit den Frauen-Bildern aus den frühen Fünfzigern, die in seiner Retrospektive zum achtzigsten Geburtstag im Art Institute of Chicago (die Ausstellung kam danach, 1984, nach Berlin) – fehlen; und Hughes weiß auch, wo sie sind. Hughes stemmt sich gegen die verfestigten Ikonen der Kunstgeschichtsfestschreibung; de Chirico entlarvt er als eifrigen Fälscher seines eigenen Frühwerks. Auf Jean- Michel Basquiats Legende drischt Hughes herum und prophezeit 1988 dem Museum, das er am meisten haßt – dem Whitney –, eine Retrospektive; sie fand in diesem Winter statt.

Im Fall Basquiat, wo später Primitivismus, Straßenkunst, Ethnokult und die Überhitzung des Kunstmarkts sich exemplarisch kreuzen, zeigt sich die Beschränktheit des Kritikers, der glaubt, daß Basquiat anderen Malern „kaum die Pinsel hätte säubern können“. Hughes ist wie verhext von den Codes des Akademischen, deren Durchbrechung durch individuelle Impulse er genauso herbeisehnt, wie er deren Verwerfung fürchtet.

Seine Texte sind gut, um einen direkten Draht zum Werk eines einzelnen herzustellen, und sie sind dort am intensivsten, wo Hughes auf das Werk von Amerikanern zurückschaut, die nach 1945 prägend waren und geprägt wurden. Als Traditionalist ist Hughes natürlich am präzisesten, wo die Traditionen umgewälzt werden (David Smith, Nam June Paik), nicht dort, wo es ihnen an den Kragen geht. Unterwegs als Don Quichotte zwischen den Windmühlen des Kunstmarkts der achtziger Jahre, beruft sich der Kritiker auf einen common sense, dessen Gültigkeit man schon deshalb bezweifeln darf, weil Hughes ihn wie eine der Kunstgeschichte zugrunde liegende Naturgeschichte anpeilt. Pflichtgemäß reibt er sich an den „Neologismen“ Baudrillards, von dem er glaubt, er habe das Wort „Simulacrum“ erfunden.

Kritik ist Kritik, alles andere ist alles andere. Das wird mal wieder schmerzlich spürbar in dem Vorwort zu dem dicken Buch, in dem Hughes versucht, den Einfluß der Metropolen auf Kunst und Künstler durch die Jahrhunderte zu vermessen; ein grotesker Versuch, einen Essay zu verfassen. Das Problem des Aufsteigers: Weil er beweisen will, was er alles weiß, versucht er alles, wovon er weiß, miteinander zu vergleichen. Spätestens hier hätte Hughes merken müssen, daß es sein Gutes hat, wenn sich jede Epoche ihre Begriffe bildet. Ulf Erdmann Ziegler

Robert Hughes: „Denn ich bin nichts, wenn ich nicht lästern darf. Kritische Anmerkungen zu Kunst, Künstlern und Kunstmarkt“. Aus dem Amerikanischen von Renate Gotthard und Sabine Roth. Kindler Verlag, 544 Seiten, 38 DM