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: Kopf und Bauch

„Parlazzo“, Mittwoch, 19.45 Uhr, West 3

Fast fühlt man sich an die legendäre Spielshow „Wünsch dir was“ mit Vivi Bach und Dietmar Schönherr erinnert, in der in den frühen Siebzigern ein Millionenpublikum mit den Mitteln der sogenannten Unterhaltung ganz schön provoziert, will heißen, zum Nachdenken gezwungen wurde. Das aktuelle, zeitkritische Pendant zu dieser sanften Verschwörung wider die Spießigkeit ist zweifellos ein aufgeklärter Umgang mit (elektronischen) Medien. Um einen solchen zu vermitteln, hat „Palazzo“ einen erstaunlich weit gespannten Bogen zwischen heiter- unterhaltsamen und differenzierten Hintergrundthemen gespannt.

Daß das komplizierte Konzept, Unterhaltung kritisch zu präsentieren, aufgegangen ist, liegt zu einem nicht unwesentlichen Teil an der Moderatorin Bettina Böttinger. Sie versteht, sich durchzusetzen: „Herr Schimpf, hören Sie mir doch mal zu, ich bin doch die Gastgeberin“, sagt sie locker, ohne dabei zickig zu werden. Ihr Prinzip, Punkte an die Kandidaten zu vergeben, ist zwar noch undurchsichtiger als die Verteilung der „Länderpunkte“ in „Tutti Frutti“. Aber das macht nichts. Denn der Show-Teil ist nur ein intelligent integrierter Gag. Genau das nimmt „Parlazzo“ von Anfang an diese ritualisierte Ernsthaftigkeit, mit der Game- Shows gewöhnlich den Bildschirm verpesten.

Zwei konstruktiv kritisch angemerkte Details. Bei einem Trailer über den Verfall der Nachrichtenkultur wurde – zum x-ten Mal – die hyper-mega-reaktionäre Nachahmungsthese der 1:1-Gleichsetzung zwischen blutigen Nachrichtenbildern und dem gewaltbetonten Fremdenhaß hierzulande verbreitet; TV- Nachrichten als „Gebrauchsanweisung“ für Mölln und Hoyerswerda: gelbe Karte. Alsdann die Expertendiskussion über „Kopf- und Bauchnachrichten“: schlimmer, schlimmer Fehler. Die Unterscheidung zwischen Kopf und Bauch ist eine perfide Sprachregelung aus dem Jargon der post- bhagwanistischen „Neuen Innerlichkeit“, welche eine angemessene Reflexion über die Ausbeutung der Privatsphäre unterbindet.

„Bauch“ ist jener Bereich des Kopfes, der nicht gar so leicht zu entschlüsseln ist. Wer sich auf diese Unterscheidung einläßt, verfehlt das Wesentliche. An der gelb-roten Karte kommen wir dennoch knapp vorbei, weil die Sympathien für das beeindruckende Restprogramm sowie die Moderatorin überwiegen. Manfred Riepe