Minim, maxim, suboptim

U-U-EFA-Cup-Erstfinale Borussia Dortmund – Juventus Turin 1:3 / Zuviele Baggios zeigten Dortmunds Grenzen auf  ■ Aus Dortmund Bernd Müllender

Der Bundesberti lobpreiste schon zur Halbzeit „die Cleverneß der Italiener“. Dortmunds Coach Hitzfeld schloß sich später an: Juve habe „eindrucksvoll gespielt“, sei die „eindeutig bessere Mannschaft gewesen mit den eindeutig besseren Einzelspielern“. War das 1:3 folglich logisch und unvermeidbar? War die Borussia chancenlos, weil ohne Schulz und Kutowski (foulgesperrt), ohne Povlsen und Zelic (verletzt) und ohne Sammer (international nicht spielberechtigt)? Konnte rackern und ackern und kämpfen nicht reichen gegen das Starensemble des Fiat-Konzerns – und das ausgerechnet am 27. Jahrestag des Europacuptriumphes von Glasgow 1966? Damals, gegen Liverpool, hatte die Borussia, reichlich von jenem Glück, das ihr am Mittwoch fehlte.

Es war ein (spannendes, erregendes) Match, über dessen Verlauf man lange Lehrfilme drehen kann – über diffizile Taktik, Strategien, Fehlerfolgen und das Glück im Fußball. Und das beliebte „Was wäre gewesen, wenn...“ gibt Stoff für viele Stammtischrunden. Die frühe Führung, Wunschtraum eines jeden Kickers, gelang den Dortmundern nach ganzen zwei Minuten. Eine Traumkombination des BVB (die erste und letzte des Abends) schloß Rummenigge mit einem Traumschlenzer in den Winkel ab. Das Westfalenstadion bebte, daß man Angst um die alten Zechenstollen der Region haben mußte: Welch ein Auftakt, welch ein Glück! Vonwegen: Das 1:0 war Gift. Denn jetzt wußten die Dortmunder gar nicht mehr was tun. 88 Minuten Mauern war nicht vorgesehen.

Juventus wartete nur. Während des ganzen Spiels. Droschen den Ball mal hoch weg, bolzten ihn mal weit weg. Leisteten sich Fehlpässe reichlich, wo sie nicht gefährlich für's eigene Tor wurden. Die Dortmunder kombinierten (meist lehrbuchhaft über die Flügel), rannten und fighteten ohne Unterlaß, flankten, spielten, schossen. Machten eigentlich alles richtig, zumindest bis zum Strafraum. Nur sie trafen 88 Minuten lang nicht mehr, auch weil das Glück, der wichtigste 12. Mann im Fußball, fehlte. Und schliefen ein einzig mal, als der andere Baggio, Dino nämlich, freistand und einschlenzte. Und ließen sich einmal auskontern: Jetzt war Roberto da, vor dem sie so Angst hatten, und es stand, Spielanteile auf den Kopf gestellt, 1:2 zur Pause. Cleverneß?

Ex-Borusse Andy Möller, gellendst ausgepfiffen und zweimal derart rüpelhaft per Ellbogenschlag ins Gesicht niedergesteckt, daß nur noch das dünnste Bärtchen der Fußballgeschichte schlimmeres abfedern konnte, meinte passend: „Wir haben nur auf die Freiheiten gewartet, die wir brauchen. Und dann die Chancen eiskalt genutzt.“ Dazu gehörte die Unfreiheit, unbekümmerte Fehler zu machen. Und zu den Freiheiten kamen sie durch leichtfüßige Befreiungsschläge. Oder lag's am Bier in der Bierstadt? BVB-Präsident Gerd Niebaum hatte vor dem erfolgreichen Halbfinale im burgundischen Wein-Paradies Auxerre den weisen Satz gesagt: „Das Schönste am Chablis ist das Pils danach.“ Nun vernahmen wir von Jürgen Kohler (der Chapuisat mit weltklassischer Hingabe bekämpfte), daß Roberto Baggio, der Buddhist mit dem Zopfkopf, „früher immer nur Wein getrunken“ habe, neuerdings aber greife er nur noch zum Bier. „Und seitdem läuft es bei ihm.“ In der 74. Minute gar zum 1:3: Möllers feines Zuspiel, und Baggios artistischer Drehroller kullert vom Innenpfosten ins Netz. Torwart Stefan Klos, „Held von Auxerre“, hielt während des ganzen Spiels keinen einzigen Ball. Was kam, war, ohne seine Schuld, eben drin. Fehlendes Glück? Cleverneß von Roberto? Oder war Klos diesmal ein schlechterer Einzelspieler?

Doch von Trauer keine Spur rings um das Westfalenstadion. Dortmunds Fans, unverwüstlich wie stets, sangen noch lange nach dem Match, daß man sowohl Deutscher Meister werde als auch „den U-U-Efa-Cup holen“ werde. Einer tröstete sich, daß wenigstens der Möller kein Tor geschossen hatte, und ein anderer meinte trocken: „Weisse, man muß ja nich imma Siega sein.“ Ein bißchen kam da auch das schlechte Gewissen durch, daß die Dortmunder in den vergangenen Monaten weit über ihrem Niveau gespielt hatten, daß immer die richtigen Ersatzspieler statt der vielen Verletzten und Gesperrten aufgelaufen waren (und manche schon meinten, notfalls wäre auch ein gelb-schwarzer Balljunge mühelos integrierbar) und daß die Endspiele ohnehin nur durch den Riesendusel in Auxerre erreicht worden waren. Diesmal war Thomas Franck nicht der glücklichste Reservist, Frank Mill altersbedingt überfordert. Und Trainer Ottmar Hitzfeld wird sich fragen, warum er Lothar Sippel wieder auf der Bank ließ.

Hitzfeld, der intellektuelle Sympath, hatte aber zunächst noch lateinisches Vokabular zur Zukunftsanalyse zu bieten. „Die Chancen für das Rückspiel“ seien nur noch „sehr minim“. Was wohl stimmt – wenn sein BVB beim Rückspiel ähnlich suboptim kickt und die Taktik der Italiener genauso maxim funktioniert.

Juventus Turin: Peruzzi - Cesar - Kohler - de Marchi, Dino Baggio, Conte, Carrera, Roberto Baggio (76. Di Canio), Marocchi - Vialli, Möller (89. Galia)

Zuschauer: 35.800; Tore: 1:0 Rummenigge (2.), 1:1 Dino Baggio (27.), 1:2 Roberto Baggio (31.), 1:3 Roberto Baggio (74.)

Borussia Dortmund: Klos - Grauer - Schmidt, Reuter - Lusch, Franck (46. Mill), Zorc (70. Karl), Rummenigge, Poschner, Reinhardt - Chapuisat