Das lange Warten des Michael Stich

■ Tennis: Bernd Karbacher (überraschend) und Emilio Sanchez erreichen das Halbfinale und lassen sich dabei ziemlich viel Zeit

Bernd Karbacher (überraschend) und Emilio Sanchez erreichen das Halbfinale und lassen sich dabei ziemlich viel Zeit

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2Die Lederhose und das schwarze Nesselshirt spannen genau an den Stellen, an denen es auch für Don Johnson eng werden würde. Die Adern an den Armen treten einem fingerdicken Geäst gleich, dekorativ hervor. Das junge Braunauge lehnt an einer schmuddelig-öligen Werkbank, da sind Zangen, Eisensägen und ein antikes Motorrad, wir wissen: Der junge Mann hat einen Traum, er wird den Oldtimer wider flott machen, auch wenn jetzt noch alle lachen.

Die Fotografin Annie Leibowitz bot ihr gesamtes Talent auf, um den Prototyp des trotzigen Working-Class Hero zu kreieren , allein — der Blick ihres Models enttarnt das Kunstwerk. „Ich bin und bleibe ein Elmshorner, auch wenn ich hier Werbung für Kreditkarten mache“, sagen die Augen von Michael Stich und „außerdem habe ich Abitur“. Der 24jährige findet sich aufgrund dieser beiden Eigenschaften besser als andere. Diese egozentrische Schlichtheit macht ihn sympathisch. Warum ich mich mit dem vorortlichen Gemüt von Michael Stich beschäftige: Er ist schließlich der einzig noch im Turnier verbliebene Junge aus der Gegend - Bernd Karbacher stammt aus Bayern.

Der bisher schnellste Aufschläger des Jahres (211 km/h) kommt langsam aus den Federn. Sein Training beginnt mittags um 12.30 Uhr, später noch als das von Citizen- Cup Gewinnerin Arantxa Sanchez, deren Zeiten bei den Frauen schon als äußerts tranquillo galten. Nach einer gymnasialen Zeitstunde und einem knapp-klaren Nicken hin zum Elmshorner Fan-Mob ist alles wieder vorbei.

Hernach beginnt für Michael Stich das Warten — sein Viertelfinalspiel gegen Ivan Lendl ist erst die dritte Begegnung des Tages. Geschätzte Anfangszeit: etwa 16 Uhr, wenn auch der letzte Schalterbeamte in der Kreissparkasse seine Arbeit beendet hat. Den Spieltag beginnen der Spanier Emilio Sanchez und der Richard Krajicek aus den Niederlanden: Der Sandplatzspezialist aus Barcelona gegen das Aufschlagmonster. Sechs Satzbälle vergibt der extrem laufstarke Sanchez gegen Krajicek im ersten Durchgang, den der Niederländer dann im Tie-Break für sich entscheiden kann. In den folgenden beiden Sätzen setzte sich Sanchez durch, und gewann nach über zwei Stunden die Partie.

Also weiteres Warten für Michael Stich. Vielleicht beeilt sich ja der Schwede Magnus Gustafsson gegen den Münchener Bobbele- Bezwinger Bernd Karbacher. Den ersten Satz jedenfalls konnte der Schwede 7:5 für sich entscheiden. Prinzip Hoffnung im Aufenthaltsraum der Spieler. Eng wurde es dann auch im zweiten Satz. Diesmal war der Bayer mit 7:5 vorne. Ein weiteres Dreisatzspiel also. Gedopt durch die berüchtigste Waffe der deutschen Tennishools, ein monotones Klatschen, fast so, wie das auf den Parteitagen der SED, gelang dann Bernd Karbacher noch das Unerwartete: der Einzug ins Halbfinale der German Open am Hamburger Rothenbaum.

Bernd Karbacher, der „noch nie bei einem so großen Match das Halbfinale erreichte“, hat seine freundliche Art, mit der er auch

1die dümmsten Fragen beantwortet, schon ganz wunde Mundwinkel beschert. Überascht war er über die Schnelligkeit von Gustafsson, äußerte er sich zur Presse, sichtlich geschafft von den zwei Stunden und

37 Minuten, in denen die beiden Spie-

1ler die Bälle über das Netz droschen.

17:44 Uhr: das Warten für Michael Stich ist beendet ( Die Partie zwischen Stich und Lendl dauerte bei Redaktionsschluß noch

an). Claudia Thomsen/Kader