Village Voice
: Denk ich an Schafe in der Nacht...

■ Inchtabokatables, die Zweite: Neues von einer Band, die „schon Furore gemacht hat“

Mit einem netten kleinen Trick versucht mich eine Plattenfirma aus 4405 Nottuln 1 zu bestechen: „Costbar, a division of Autogram Records“. Was hier daherkommt wie der Ableger eines multinationalen Konzerns, ist in Wirklichkeit ein Zwei-Mann-Unternehmen, das sich um Folk-Musik kümmert.

Herr Willy Schwenken von „Costbar“ schreibt mir folgendes: „Beigefügt senden wir eine CD- Neuerscheinung „The Inchtabokatable“ (Stil in etwa Indepedent-Rockmusik), die zu besprechen sicher lohnt. Denn es handelt sich um die 2. CD einer Newcomer Band, die schon richtig Furore gemacht hat... Diesen Stilaufbruch mitzubeobachten, lohnt sich gerade für Sie, da wir pro Region nur jeweils eine Tages- oder Stadtzeitung ansprechen!“

Ich? Der zweiteinzigste Mensch in Berlin mit dieser Platte? Sofort rufe ich testweise meinen Redakteur an und frage ihn scheinheilig: „Na, hast du schon die Neue von den Inchtabokatables geschickt bekommen? Nee? Aber ich habe sie, und ich bin der einzige!“ Ich könnte also reich werden, wenn ich jeder Zeitung die Besprechung von „White Sheep“ anbieten würde, aber ich bin zum Glück schon reich.

Reicht also ein Artikel, um keinen Ärger zu kriegen. Denn am Ende des costbaren Briefs heißt es mit drohendem Unterton: „Bitte Artikel zusenden. Danke (dann wären sie auch bei nächster Gelegenheit wieder dabei).“ Ansonsten wäre ich nie wieder dabei! Ich lasse mich zwar lieber mit Katjes bestechen, aber Zuckerbrot und Peitsche tun es natürlich auch.

Und dann höre ich gestern, daß die Inchtabokatables (das s am Ende hat Costbar vergessen) die Plattenfirma gewechselt haben. Mit Costbar und den anderen Divisionen von Autogram Records (besonders hübsch: „Basilikum – ein Label der Autogram-Gruppe“) liegen sie angeblich im Clinch...

Kann mir die Drohung von Costbar jetzt ja eigentlich gestohlen bleiben. Ab der nächsten Platte sind die Inchtas bei Ariola! Und die sind nun wirklich eine Großfirma, eine „Division von Bertelsmann“.

So kann ich mich schon auf den nächsten Bestechungversuch, diesmal von Profis, freuen. Die Großfirmen versuchen es gern auf die zärtliche Tour: Damen mit anschmiegsamen Telefonstimmen rufen nachts an und flüstern: „Naa, wie wärs, möchtest du nicht die Neue von XXX besprechen, ich kann dir gern was zuschicken, oder willst du mal vorbeikommen?“

Die PR-Leute der Plattenfirmen sind fast immer Frauen, die Redakteure hingegen meist Männer...

Genug Gründe, jetzt endlich was über die Platte zu sagen: Der Vorgänger von „White Sheep“, das Debüt der Inchtabokatables „Inchtomanie“, glänzte mit Sonic-Youth-mäßigem Speed-Folk und dem Schrei der Erbarmungslosen: „Süßes, kleines, fettes Deutschlaaand!“ in „Hoywoi“, dem definitiven Song gegen Hoyerswerda.

Das neue Werk der populären Ostkapelle – ihre Konzerte sind ständig ausverkauft – ist nach einem niedlichen Prinzip durchorganisiert: jemand zählt Schafe um einzuschlafen. Zwischen den Songs hört man ihn sagen: „eight sheep, nine sheep, ten sheep.“ Nach dem nächsten Titel ist er dann bei 140 Schafen angekommen. Er zählt also unhörbar weiter. Man könnte auch sagen: die Inchtabokatables machen einen solchen Lärm mit ihrem merkwürdigem Folk – der manchmal nach Punk klingt, manchmal wie irische Folklore, immer sehr zornig deutsch – daß keiner dazu einschlafen kann.

Interpretationsansatz: Verstehen sie diese Platte als Wachrüttelmittel in den Zeiten, in denen man eigentlich nachts nicht schlafen dürfte, weil irgendwas Böses passiert.

Besonders gut gefallen mir die Inchtabokatables (australisches Wort für „Schnorrer“), wenn sie deutsch singen, bzw. brüllen. In „Johnny“ heißt es: „Johnny rennt überall rum. Johnny kauft überall Butter. Johnny rennt überall rum. Warum kaufst du nur soviel Butter?“ Dazu wird gegeigt und getrommelt.

Noch heftiger werden die Inchtas beim wohl besten Song der Platte „In die Rhagandi“: „Und wenn der Widerstand ein Arbeitswiderstand ist, gehört der Widerstand zum System. Doch die Unternehmerpräsidenten besitzen immer noch das Land.“ Das untergegangene Land, aus dem die Inchtas kommen, besitzen sie ja eigentlich erst seit kurzem wieder.

Dann der Kommentar zum 1.Mai: „Und wenn die Steine fliegen, ohne wirklich zu verändern. Wird wohl nichts mehr wachsen. Sondern untergehn.“ Da könnte man jetzt lange drüber nachdenken...

Bis sechshundertsechsundsechzig kommt der Schafzähler. Dann wird das weiße Schaf erschossen. Andreas Becker

The Inchtabokatables: „White Sheep“. Costbar, im EfA-Vertrieb, Best.-Nr. 11890.