Wie serbisch ist die Bohnensuppe?

■ Ein Streifzug durch die Balkan-Restaurants der Hauptstadt: Von Speisekarten, die sich wie die Landkarten verändern

Der alte Herr ist über zehn Jahre Stammgast im Schischko Paprika-Grill. Sogar der letzte Geburtstag seiner Frau wurde auf den dunklen Holzbänken gefeiert. „Das ist die Atmosphäre hier, ich liebe den Balkan“, sagt er. Nach seinem ersten Aufenthalt dort in den 30er Jahren reiste er immer wieder ins ehemalige Jugoslawien. „Das Land und die Menschen sind wunderbar, so gastfreundlich“, erinnert er sich. Es treffe ihn sehr, daß da unten kein Frieden zu machen sei, sagt er, setzt sich an seinen Stammplatz und bestellt Gulasch.

Das Restaurant in Wilmersdorf startete vor 30 Jahren als Imbiß. Heute noch kommen Gäste aus Westdeutschland, lassen sich in engen Nischen nieder, betrachten die über der Theke aufgehängten Teppiche, Hirtenflaschen und Saiteninstrumente und erinnern sich an die Currywurst von damals. Fast alle Kunden sind Deutsche – die hier lebenden Ex-Jugoslawen gehen nicht jugoslawisch essen.

Das erste jugoslawische Restaurant in Berlin will jugoslawisch bleiben, so lange die Gäste daran keinen Anstoß nehmen. Und das tun sie offensichtlich nicht – das Schischko hat keine rückläufigen Gästezahlen zu verzeichnen. „Für mich ist Jugoslawien weiter ein Land, mein Land. Es war so schön dort, ich hätte nie geglaubt, daß so etwas passieren könnte“, sagt Bykije Jevtic. Der in Mazedonien geborene Serbe ist mit einer Kroatin bosnischer Abstammung verheiratet. Um irgendeinen Verwandten fürchtet er jetzt immer.

Seine Chefin Dobzinka Barac kommt aus Serbien. „Wo ich aufgewachsen bin, lebten 16 Nationen miteinander. In der Schule wußten wir oft gar nicht, ob die anderen Kinder Serben, Kroaten, Rumänen oder Ungarn waren.“

Die einzige Kriegsfolge für das Restaurant ist die Änderung der Weinkarte. Die Weine selbst sind zwar die gleichen. Doch kommt der Silovka Mester heute aus Bosnien-Herzegowina. Die übrig gebliebene Flasche des Jahrgangs 1989 wurde noch in Jugoslawien- Herzegowina abgefüllt.

Die Speisekarte dagegen blieb. Neben Cevapcici, Rasnjici, Räuberspieß und Jägerschnitzel gibt es Eisbein mit Sauerkraut. „In Jugoslawien ißt man mehr Brot als Reis, und Ketchup gibt es gar nicht“, verrät Jevtic. Jeder jugoslawische Kellner wäre ratlos, wenn bei ihm ein Puszta-Teller oder eine Zigeunersuppe geordert würde. Im Schischko kann man dagegen auch den „lustigen Bosniak“ bestellen, den es nur noch selten geben dürfte. Hier verbirgt sich dahinter eine Art Cordon-bleu. Die serbische Bohnensuppe aus original jugoslawischen Zutaten kocht die Chefin sogar selbst. Serbische Bohnensuppe taucht mittlerweile nur noch auf den wenigsten Speisekarten in Balkan-Grills auf: „Bohnensuppe“ heißt es lakonisch, manchmal auch „Bohnensuppe scharf“. Nur im „Esstaurant Mirko“ steht sie verschämt zwischen Spaghetti Napoli und französischer Zwiebelsuppe. Das Esstaurant sei schon immer international gewesen, begründet Inhaber Mirko Pandurevic. Bohnensuppe sei überhaupt nicht serbisch, sondern werde auf dem ganzen Balkan gegessen, betont Katarina Marovic, deren „Bohnensuppe“ ein wenig röter und schärfer ist als die im Schischko hausgemachte. Bis vor einem Jahr hatte sie noch „jugoslawische und internationale Küche“ an ihrem Balkan-Grill stehen, fast 20 Jahre lang. Jetzt heißt das Restaurant „Croatia“ und bietet internationale Küche. „Als die Serben mein ganzes Dorf zerstört und neun meiner Verwandten umgebracht haben, konnte ich das nicht mehr ertragen. Ich bin rausgegangen und hab alles abgemacht“, erzählt die alte Dame.

Die Speisekarte hat sie auch nicht geändert, sie hatte schon immer vor allem kroatische Spezialitäten. Dazu gehören Fischgerichte von der dalmatischen Küste, gebackene Teigblätter mit Putensoße und verschiedenste knoblauchhaltige Soßen. Ihre Balkan- Spezialitäten zeichnen sich durch kräftig gebratene Fleischberge mit Salzkartoffeln oder Paprikareis aus. Zwischen Folkloristischem hängen hier über der Theke Wandteller mit Aufschriften wie „Welcome in Maryland“ oder „Washington DC“. Als die Amerikaner noch in Tempelhof waren, waren sie Stammgäste: „Sie kamen zu mir wie zu einer Mutter“. Ein alter Kunde, der seinen Urlaub in Berlin verbrachte, ermunterte sie, die Tragödie ihrer Familie seinem Präsidenten zu schildern. Clinton lese gern Briefe. Er würde sich vielleicht für ihre Heimat einsetzen. Vielleicht komme der Präsident ja auch mal auf einen Julička vorbei, der Mischung aus Kručkovac (Birnenlikör) und Slivovic (Pflaumenschnaps), die sie ihren Gäste nach den Mahlzeiten vorsetzt. „Wenn Sie einmal nach Berlin kommen, lade ich Sie herzlich in mein Restaurant Croatia gegenüber dem Flughafen Tempelhof ein“, hat sie geschrieben und nicht vergessen, die Luftbrücke zu erwähnen.

Ihr kroatischer Kollege Petar Radulovic hat an seinem Grill in der Friedrichstraße immer noch jugoslawische und internationale Spezialitäten auf der Fensterscheibe stehen. „Wozu soll ich das Restaurant umbenennen, das sind politische Dinge und von Nationalismus halte ich gar nichts“, sagt er. Der sei Grund für all das Übel und den Krieg. Er selbst ist glücklich mit einer Serbin verheiratet „und das soll auch so bleiben.“ Corinna Raupach