piwik no script img

Gerührt, nicht geshuttelt

Anmerkungen zu ALL-TV und der ungeschriebenen Geschichte des Astro-Sounds  ■ Von Peter Glaser und Erwin Jansen

Musik besticht die Kritik, und wie leicht kann Glockenläuten einen zur Duldung einer Nichtigkeit bringen! (Karl Kraus)

Geigen, Geigen sind ganz wichtig bei Weltraum. Jeder weiß, wenn Unterwasseraufnahmen gezeigt werden und eine ganz bestimmte Musik einsetzt, daß dann Haifische kommen. Zu anderen Bildfolgen verheißen verschärft hohe Töne eine unausweichlich anstehende Entleibung. Diese solide Hörgewohnheit hat Mel Brooks im „Höhenkoller“ perfekt parodiert. Die Mordmucke ist einer ereignislosen Kraftfahrt unterlegt. Dann fährt ein Autobus vorbei, in dem ein Orchester sitzt und die Musik macht.

Weltraum braucht klassische, elegische, ergreifende Klänge, sonst fällt er, jedenfalls im Fernsehen, in sich zusammen wie ein schwarzes Soufflé. Muß feierlich sein, getragen. Weltraum nämlich ist immer Religion, „Mission“, nie Nutzanwendung, da können sie mit noch so vielen Kugelschreibern, mit denen man auch an der Decke schreiben kann, und Teflonpfannen ankommen. Die Teflonpfanne war bereits in einem deutschen Reichspatent von 1938 beschrieben.

Raumfahrt ist wie Pyramidenbau – gewaltig, sinnlos und aufregend. Schon Lewis Mumford war die verblüffende Analogie zwischen Mumien und Astronauten in ihren weißen Raumanzügen aufgefallen; beide sind umgeben von miniaturisiertem Equipment und bereit für eine Reise in die todeskalte Unendlichkeit.

Am 24. April kam, nachdem sie zweimal etwas zurückgeblieben war, die D2-Mission mit der Raumfähre „Columbia“ endlich hinten hoch. Neben fünf Amerikanern an Bord die deutschen Physiker und Wissenschafts-Astronauten Hans Schlegel (42) und Ulrich Walter (39). Dazu ein Satz von 92 Experimenten und 25 Kilo Bedienungsanleitungen, Kostenpunkt runde 760 Millionen Mark.

In den USA werden ausgewählte Shuttlestarts seit einigen Jahren fernsichtlich geboten, wiewohl sie inzwischen den Unterhaltungswert der live übertragenen Abfahrt eines Intercity haben. Die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen und ein illustrer Satz Sponsoren – von der Telekom bis zu den Allgäuer Festzeltbetrieben – wollte diesmal nicht zurückstehen und kupferte das Konzept. Vom 24. April bis 6. Mai lief ALL-TV, das Programm zu D2, via Kopernikus oder Kabel guckbar; dazu in „Informationszentren“, so im Postmuseum Frankfurt, der Uni Bayreuth und bei Karstadt in Gießen. So was wie die Campingversion eines Fernsehsenders.

Moderator Claus Kruesken, ganz der junge Max Headroom, trat an mit stets gelparalysiertem Haupthaar, Mikroohrstöpsel und flimmerfreiem Jackett. Nett. Die Studiodekoration erweckte den Eindruck eines durchgedrehten Rhönrads, an das jemand grüne Neonröhren geschraubt hat. Angenehm an Kruesken: er zappelte weder, noch war er als Schreibkraft tätig wie manche Primaten, will sagen Privatmoderatoren.

Tief befremdlich war der Sondersound zu etlichen Darbietungen. Den Clip-Dauerbrenner „Die Highlights der D2-Mission“ (dreimal täglich, nur äußerlich) untersülzten Schmusehits der späten 50er und 60er, der Wonnezeit der Weltraumfahrt. „Smoke Gets In Your Eyes“, die Platters-Originalversion, unklar ob wegen der qualmvoll startenden „Columbia“ oder als Tränlein für die hinscheidende bemannte Raumfahrt gemeint. Dann „Unforgettable“, dazu ein Blick auf die entfernt vorbeidriftende „Mir“ („That, my darling, is incredible ...“) und einen gemütlich vor sich hin rotierenden Astronauten im Shuttle; Saxophon Solo. Gefolgt vom nächsten Sentiment, Sinatras „When You're Smiling“.

Und wir hörten „Come on and be happy again“ zu rotgrünversetzten Bildern eines klötzchenbauenden Robotarms namens „Rotex“, der R2-D2 von D2. Finale: Bläser, trötöröö. Ich hastete zu meiner angestaubten Rotgrünbrille. Der Traum des totalen Technikers wird wahr: Tutti Frutti endlich ohne die lästigen Weiber, Raumtiefe aber kam keine. Rotex will eine Extrawurstbrille.

MTViewern wird nicht entgangen sein, daß Raumfahrt in der wundervollen wahllosen Auswahl der Popbildmaschinerie praktisch nicht mehr vorkommt. Allinteresse ist populärerseits praktisch unvorhanden. Der Raumfahrt bietet sich nicht einmal mehr die Möglichkeit für einen existentiellen Einwurf (à la Obelix – „Ich bin doch nur zur Dekoration hier“).

Moderator Kruesken, launig: „Wir haben mal das Thema Raumfahrt in einer Fußgängerzone unters Volk geworfen.“

„Raumfahrt, brauchen wir das?“

„Nö.“

„Wennse das Fluchzeuch nich erfunden hätten, würdemer heute noch middem Esel nach Gran Canaria gehn. Ja, ist doch so, odä?“

„Die tun ja nit nur im Weltraum da irgendwat machen, ja, die tun ja auch quasi Kulturen züchten, ja, die ma hier auffe Erde jarnich züchten kann. Vielleicht wenn die mal den Krebserreger mal irgendwie erfinden würden, könnt ja sein, daß man n Sirup, nee, wie heißt dat? n Serum, ja und warum sollen wir als starke Wirtschaftsnation an letzter Stelle sein?“

Clips. Zu einer regelmäßigen Zusammenfassung der D2-Events wurde Paul Simon gegeben, aber statt des passenden „Boy In The Bubble“ mit dem „These are the days of lasers in the jungle...“ das mit dem „Over the mountain, down in the valley, lives a former talkshow host...“. Offenbar hat da jemand einfach seine Lieblingsplatten eingespielt. Paul Simon macht wirklich feine Musik, aber Weltraum geht damit nicht. Man kann nicht so einfach seine Eigencharts abfahren. Ich zum Beispiel habe einen Hang zu nubischen Hochzeitsliedern und Leonard Cohen („I was born with the gift of a golden voice“, hehe), da hätten die schön dumm geguckt.

Wo, ALL-TV, blieb die wissenschaftliche Gründlichkeit bei der Musikauswahl?

Die Aldi-Lösung wäre gewesen: Waberlalla, Pink Floyd, Jean-Michel Jarre – Mutter aller Moogmucke –, Vangelis, oder vom häßlichsten Popmusiker der Erde außer Dieter Bohlen: Rick Wakeman („Yes“).

Die Luxuslösung: der ungeschriebenen Geschichte des Astro- Sounds nachzugehen. Anfang 1958, kurz nach dem Start des Sputnik I, gab's den ersten Astro- Sound-Boom. Don Lang brachte den „Red Sputnik Rock“. Die Tornados landeten (sic) mit dem Instrumental „Telstar“ einen Tophit, gefolgt von „Robot“ und „Live on Venus“. Es gab Space-Instrumentals ohne Ende, „Orbit 3“, „The Astronauts“ mit „Baja“, „The Citations“ mt „Moon Race“. 1963 kam Geoff Goddard mit „Sky Man, Sky Man (Where Do You Come From?)“ zuzüglich Spacegeblubber und robotisiertem Sprechgesang („Children on earth, don't be afraid, we come in peace“). Im Mai 63 klimperten die „Boys“ ihr „Polaris“, wovon es dann auch eine grausam gesungene Fassung („Magic Star“) gab. 1965: „Everyone's Gone To The Moon“ von Jonathan King, ein Protestlied. Zur selben Zeit säuselte Radio-Luxemburg-Moderator Camillo Felgen, flankiert von unverkennbarem Weltraumraunen, eine deutsche Version von „Telstar“: „Irgendwann beginnt ein neuer Tag“.

Im September 1966, drei Jahre vor Neil Armstrongs kleinem Schritt für einen Menschen, lief zum ersten Mal „Raumpatrouille“. Die Filmmusik von Peter Thomas wurde bekannt als „The New Astronautic Sound“ („Noch heute fühlt man sich von diesem Hörgenuß durch Raum und Zeit getragen“, Jörg Kastner, „Orion Fanbuch“). William Milie entwarf die futuristischen Modetänze in dem unterseeischen Starlight-Casino, den „Lancet Bossa Nova“, den „Bolero On The Moon Rocks“, und „Picciato In Heaven“.

Eine Art Newest Astronaut Sound läßt sich von David Bowies „Space Oddity“ (1969, „Ground Control To Major Tom“) bis zu Andreas Doraus „Fred vom Jupiter“ (1983) und heute hin hören.

Und ALL-TV?

Och nö, neh: vermischte Bilder, Erdeausdemall, dazu erst den Trailer der Bondfilme – gerührt, nicht geshuttelt –, dann den „Goldfinger“-Soundtrack. Das Bondfilm- Prinzip, demzufolge am Ende immer alles effektvoll in die Luft fliegt, assoziiert leider abstoßend das Challenger-Fiasko. Und wenn schon Bond, dann entweder „Man lebt nur zweimal“ (1967, „Spectre“ entführt russische und amerikanische Raumkapseln, um den Dritten Weltkrieg zu provozieren) oder „Moonraker“ (1979, der irre Milliardär Drax baut eine Mondstation, in der eine neue Menschenrasse gezüchtet werden soll und entführt ein Shuttle).

Naja, über die Tage verteilt nahm man, mit Fremdenführer Ulrich Walter, auch an einem recht interessanten Shuttle-Sightseeing teil. „Das Shuttle schwebt sozusagen im Weltraum ohne fremde Beeinflussung. Es schwebt vor sich hin, und man braucht es gar nicht fliegen. Und das ist das Schöne hier im Weltall.“

Traditionsgemäß war das Klo kaputt. Die Küche: „Das sind zum Beispiel Erdbeeren.“ Sahen aber aus wie Teewurst. Die Schlafkojen, winzigst. „Interessanterweise liegen Sie hier mit dem Rücken nach oben.“ Und still und klanglos propellerte hinter Herrn Walter die Erdbeerteewurst längs.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen