Traditionell ein Ort der Abscheu

■ In Irlands Männerklos helfen nur noch Pinkelsteine gegen Latrinengestank

„Diese Unreinlichkeit, die auf dem Lande, wo die Bevölkerung zerstreut lebt, nicht so viel schadet, die aber dem Irländer zur anderen Natur geworden ist, wird hier in den großen Städten durch ihre Konzentration erst schreckenerregend und gefahrbringend“, schrieb Friedrich Engels über die irischen Emigranten in England. „Wie zu Hause baut er sich seinen Schweinestall ans Haus, und wenn er das nicht kann, so läßt er sein Schwein bei sich im Zimmer schlafen. (...) Seine Kinder spielen mit ihm und reiten darauf und wälzen sich mit ihm im Kot, wie man das in allen großen Städten Englands Tausende von Malen sehen kann.“

Die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage findet man weder Schweine noch andere Lebewesen in der guten Stube. Das Wohnzimmer, in dem Familie Murphy ihr Porzellan aufbewahrt, ist tabu und wird nur zu besonderen Anlässen geöffnet: zu Weihnachten oder wenn die Verwandtschaft aus den USA zu Besuch kommt oder wenn der Gemeindepfaffe zu Tee und Gebäck anrückt. Den Rest des Jahres gießt Frau Murphy die fleißigen Lieschen und – man weiß ja nie – wischt regelmäßig Staub, denn das Wohnzimmer ist traditionell ein Statussymbol.

Im Gegensatz dazu ist die Toilette in Irland traditionell ein Ort der Abscheu, dem wenig Aufmerksamkeit widerfährt. Als man Anfang des Jahrhunderts zaghaft begann, die Häuser mit Innenklos zu versehen, gab es einen Aufschrei des Ekels ob dieser Sauerei. Die Vorfahren der Murphys wollten keine stinkende Kloake unter dem Dach haben, wenn eine Steinmauer am Ende des Gartens es auch tat. Diese Einstellung hat sich bis heute hartnäckig gehalten.

Wer in Irland unterwegs ist und auf eine öffentliche Toilette muß, hat schlechte Karten. Wie auch in anderen Ländern üblich, gilt das noch verstärkt für die Männerklos, die oft knöcheltief überschwemmt sind. Die einzige Maßnahme des zuständigen Reinigungspersonals besteht darin, ein Kilo Pinkelsteine in den Raum zu werfen, so daß die chemische Keule dem Klobenutzer die Tränen in die Augen treibt. Fatale Züge nimmt das Toilettendrama an, wenn man in einer Wohngemeinschaft lebt. Dann gibt es nämlich keine Ausweichmöglichkeit. Regine aus Wilmersdorf, die für ein Jahr in Dublin studiert und mit fünf IrInnen zusammenwohnt, hat in Irland gelernt, im Stehen zu scheißen.

Claudia Sonntag aus Leipzig ist davon überzeugt, daß die IrInnen das Badezimmer für den überflüssigsten Raum im Haus halten. „Die Badewannen sind so winzig, daß man es darin kaum länger als eine Viertelstunde aushält.“ Das ist Absicht, sagt John O'Carroll: "Meine Mutter hat mich früher immer aus dem Badezimmer gescheucht, wenn sie meinte, daß ich lange genug darin zugebracht hatte.“ Er macht die katholische Kirche dafür verantwortlich, daß viele IrInnen mit der Körperpflege auf Kriegsfuß stehen. "Der Körper ist tabu, auch wenn es dein eigener ist“, sagt er. "Wenn es in der Wanne zu gemütlich wird, oder wenn man sich zu intensiv wäscht, könnte man auf dumme Gedankenkommen. Und das führt, wie uns die Pfarrer in der Schule glaubwürdig versichert haben, unweigerlich zur Blindheit.“ Ralf Sotscheck