Vergnügen kontra Säureschutzmantel

■ Die Banja dient in Rußland nicht nur der Hygiene

Verhält sich die Badefrequenz eines Volkes umgekehrt proportional zur Entfernung seiner Bäder von den eigenen Schlafzimmern? 1965 wohnten wir, eine Gruppe von SchülerInnen, in Moskau in einem Hotel am Kiewer Bahnhof, in dem sich die Duschen im Keller befanden und über die Hintertreppe zu erreichen waren. Um von der Vorder- auf die Hintertreppe zu gelangen, durchquerten wir jeden Morgen in Schlappen und Bademänteln eine elegante Halle, wo wir uns unter die aufgeputzten Mitglieder irgendeiner Delegation mischten, die dort ihr Sektfrühstück abhielten.

Elf Jahre später, im Wohnheim für angehende WissenschaftlerInnen in Leningrad, brachte mir meine Zimmergenossin bei, daß mehr als einmal in der Woche duschen den Säureschutzmantel der Haut zerstöre. „Darf ich Sie einseifen?“ fragte täglich der Pförtner in der Eingangshalle, wenn ich trotzdem duschwärts in den Keller turnte. Und auf dem Rückweg begrüßte er mich strahlend: „Möge Ihnen der Dampf Erleichterung verschafft haben.“ Dieser alte Gruß bezeugt, daß das traditionell vorsichtige Verhältnis der RussInnen zum Wasser in sein orgiastisches Gegenteil umschlagen kann, sobald das Wort „Banja“ fällt. Stolz weisen sie darauf hin, daß in den russischen Dörfern das eigene Dampfbad, die Banja, bei keinem Hof fehlen darf.

Nun dient die Banja allerdings der Hygiene nur unter anderem. In erster Linie nützt sie der Abhärtung und nicht zuletzt dem Vergnügen und gesellschaftlichen Zusammensein. In den öffentlichen Banjas der russischen Großstädte wurde dies noch bis vor kurzem dadurch gewährleistet, daß sich die Kunden in die Dampf- und Ruheräume Bier und allerlei Leckereien bestellen konnten. Die Verbindung von Schwitzen, Dampf und feuchten Handtüchern schien ungemein appetitanregend zu sein, und ein großes Helles half wahrhaftig mit, den Feuchtigkeitsverlust so gering wie möglich zu halten.

So ein Dampfraum ist für etwa fünf Leutchen eingerichtet, die sich vorher unbedingt gewaschen haben müssen und sich dann dort grunzend gegenseitig mit Birkenruten bearbeiten. Grenzen setzt dem Vergnügen die vorgeschriebene Gleichgeschlechtlichkeit, es sei denn, ein durch seine Pässe ausgewiesenes Ehepaar wünscht den Raum gemeinsam zu benutzen. In Wologda, im russischen Norden, haben neuerdings die örtlichen Nudisten diesem Brauch den Kampf angesagt.

Die Moskauer plagen andere Sorgen. Ihnen sind die Banjas mit wachsender Inflation entweder zu teuer geworden – oder die nächste ist jetzt zu weit entfernt, denn immer mehr von den prachtvollen Hallen werden zweckentfremdet. Dies droht auch der Moskauer „Zentralen Banja“ am Bolschoj Theater, einem Gebäude mit Museumswert, zwischen Jugendstil und Alhambra. Das Arbeitskollektiv der Banja reichte den Behörden bereits am 2. Dezember 1991 die notwendigen Papiere ein, um das Unternehmen gemäß dem Privatisierungsgesetz in eigener Regie zu übernehmen und mit einer amerikanischen Firma die Gemäuer gründlich zu restaurieren, in denen die Kanalisationsleitungen seit einem Jahrhundert vor sich hin rosten. Eine Antwort blieb aus.

Kürzlich hat nun Moskaus Oberbürgermeister Jurij Luschkow per Dekret verfügt, daß die Gebäude einem Restaurant-Konsortium zur Nutzung zu übergeben seien „zwecks Realisation der sozial-ökonomischen Entwicklung des Bezirkes“.

Die Klage des Banja-Kollektivs wurde in erster Instanz abgewiesen. „Eine Erosion des Moskauer Lebens findet statt“, klagte die Hauptstadt-Zeitung Kuranty angesichts der drohenden Banja- Schließung. Wie sich diese wohl „sozial-ökonomisch“ auswirken wird? Vielleicht ähnlich wie die Erhöhung der Banja-Preise letztes Jahr in Tschernjachowsk bei Kaliningrad. Auf sie folgte dort eine Läuse-Epidemie. Barbara Kerneck