Ist Milošević eine Friedenstaube?

■ Belgrad braucht Ruhe an der Bosnien-Front

Belgrad (taz) – Um große Worte war Slobodan Milošević noch nie verlegen. Gestern ließ der serbische Präsident mitteilen, er werde alles unternehmen, um auch seine bosnischen Landsleute auf den neuen Belgrader Friedenskurs zu bringen. Der charismatische Serbenführer scheue sich auch nicht, die Nachschubwege nach Bosnien zu unterbinden, um die serbische Führung dort zur „Einsicht“ zu bewegen. Eine „Einsicht“, die gerade bei Milošević sehr spät kommt: er war es, der alle drei Kriege im ehemaligen Jugoslawien anzettelte, erst in Slowenien, dann in Kroatien und zuletzt in Bosnien die Truppen marschieren ließ. Weshalb also nun dieser politische Umschwung?

Im Unterschied zum bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić weiß Milošević, daß die serbischen Eroberungen in Bosnien abgesichert werden müssen. Militärische Einzelaktionen von UNO, USA oder Nato können nicht mehr ausgeschlossen werden, die serbische Kriegswirtschaft liegt am Boden, und zuletzt klappt es mit dem militärischen Nachschub nicht mehr so, wie man es sich in Belgrad erhofft hatte. Viele Serben sind kriegsmüde, wollen nicht an die Front und lassen sich auch nicht mehr für Schmuggelaktionen einspannen. Zudem brennt es auch in der heimischen Republik Serbien: im mehrheitlich albanisch besiedelten Kosovo kam es am 1. Mai zu Unruhen, die nur durch ein großes Militäraufgebot niedergehalten werden konnten. In Belgrad kursiert unter den Militärs bereits die Angst, bald auch in dieser Region eingreifen zu müssen, da sich die albanische Bevölkerung der Unterdrückungspolitik mit immer militanteren Mitteln widersetzt. Kleinere Scharmützel zwischen Albanern und Serben sind nach über fünf Jahren Belagerungszustand an der Tagesordnung.

Um sich militärisch nicht zu verzetteln, setzt Milošević auf eine Beruhigung der Lage in Bosnien. Für die Serben dort ist das nicht annehmbar. Sie halten nichts von Miloševićs Schachzügen und glauben weiterhin an die militärische Machbarkeit eines großserbischen Staates. Milošević wiederum wird seine serbischen Statthalter in Bosnien nicht einfach fallenlassen, er braucht sie noch immer, um die Eroberungen abzusichern. So bleibt vorerst alles beim alten, und Miloševićs Ankündigung, den Nachschub über den Grenzfluß Drina zu stoppen, ein Lippenbekenntnis ohne ernste Folgen. Karl Gersuny