Aus Dreck wird Geld

In Bulgarien wird deutscher Plastikmüll verwertet / Arbeits- und Umweltschutz für DSD kein Beurteilungskriterium  ■ Aus Asenovgrad Annette Jensen

Maria Simova steht an einem nagelneuen Förderband und wartet auf zerbeulte Pril- und Meister- Proper-Flaschen. Erst wenige haben den Weg über die Rampe geschafft, und schon wieder ruckt die Maschine und bleibt stehen. Maria Simova greift ein paar Behälter, aus denen Spülmittel sabbert, und wirft sie in ein quadratmetergroßes Loch neben sich. Sonst arbeitet Maria Simova in der Zollabteilung, aber heute wurde sie kurzfristig zum Sortieren abgestellt: Ihr Chef will einem Troß eingeflogener JournalistInnen die Verwertung von deutschem Plastikmüll vorführen.

„Das Duale System Deutschland ist für uns ein Glücksfall“, meint Niko Manov, Geschäftsführer der Chimik in Asenovgrad, etwa zwei Busstunden von Sofia entfernt. Schon früher hat die Firma Plastik zerhäckselt, gewaschen und zu Rohren und Pflanzenstützen verarbeitet, weil Bulgarien mit seinem knappen Rohölkontingent aus der UdSSR zur Plastikherstellung nicht auskam — aber damals habe man für die Lieferungen bezahlen müssen. Heute hingegen kommen die Stoffe vorsortiert frei Haus an.

Auch der stellvertretende bulgarische Industrieminister Racho Petrov ist voll des Lobes für die deutschen Müllieferungen, die hier stets Sekundärrohstoffe genannt werden: „Die Kooperation ist sowohl für Deutschland als auch für unser Land sehr gut. Es ist ein großer Schritt vorwärts in eine Zukunft ohne Müll.“ Da aber mag ihm Petrov nicht folgen: „Nein, Müllvermeidung ist das nicht – und das wollen wir auch gar nicht. Wir leben schließlich davon.“

Die Produkte der Chimik sind Radkappen, Abwasserrohre, Plastiktüten und gigantische graubraune Zaunpfähle, die aber nur mit kräftigen Zuschüssen vom DSD in Höhe von 180 bis 250 DM pro Tonne Abnehmer finden und in Deutschland gar nicht verkäuflich sind. Denn aus frischem Öl können die Produkte bei weitem billiger produziert werden. Außerdem halten die Materialien nur wenige Einschmelzungen durch, bevor sie völlig unbrauchbar geworden sind. Die Maschinen, die den deutschen Wohlstandsmüll waschen und zerkleinern, erreichen Preßlufthammerlautstärke. Mit bloßen Händen zerrt eine Frau Folien aus einem Ballen. „Eine Maschine für diese Arbeit würde bis zu 350.000 DM kosten. Das lohnt sich hier gar nicht, wo Arbeitskräfte so billig sind“, meint Fritz Bufe von der Firma Sikoplast aus Siegburg, die schon mehrere Anlagen an die Chimik geliefert hat. Umgerechnet 160 bis 400 DM finden die ArbeiterInnen am Ende des Monats in ihren Lohntüten.

In schmalen Betongräben sammelt sich das Wasser aus den Maschinen; an mehreren Stellen haben sich zentimeterhohe Pfützen gebildet. „Vom Umweltstandard her hätte die Chimik in Deutschland Schwierigkeiten, weil sich in dem Wasserkreislauf durch Joghurt und andere Reste Bakterien bilden“, sagt Gernot Krammer vom TÜV Bayern/Sachsen, der die Firma begutachtet hat.

Aber weil sein Auftrag lediglich lautete, die Technik der Anlagen und die Nachprüfbarkeit der Stoffströme zu beurteilen und nicht ökologische Aspekte und Arbeitssicherheit, konnte er der Anlage ihre Tauglichkeit bescheinigen. Gunnar Sohn, Pressechef des Dualen Systems, fügt hinzu, man könne ja nicht weltweit deutsche Umweltschutzregeln vorschreiben – nach dem Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Das sei missionarisch und greife in die inneren Angelegenheiten des Landes ein.

Zahlen müssen die deutschen VerbraucherInnen: rund 2.000 DM Sammlungs- und Sortierkosten in Deutschland, 450 DM für den Transport jeder Tonne Joghurtbecher und Ketchupflaschen nach Bulgarien sowie für die Subventionen anders nicht absetzbarer Produkte. Dabei haben sie aber extrem wenig Einfluß auf die Verpackungen, auch wenn sie zwischen dem verpackungsärmeren Nachfüllpack und dem neuen Waschmittelkarton wählen können, räumt auch Jens Kellersmann ein, in dessen Agentur 20 Menschen mit dem Versuch beschäftigt sind, dem DSD einen guten Ruf zu verschaffen. „Der eigentliche Wettbewerb findet zwischen den Herstellern der verschiedenen Verpackungsmaterialien statt. Wenn die Gebühren für Plastik ab Herbst hochgehen, werden viele Firmen alternative Verpackungen wählen“, glaubt Kellersmann.

„Ein Verbot bestimmter Materialien oder ein Zwang für die Plastikindustrie, bestimmte Quoten zurückzunehmen, wäre doch viel effektiver“, meint eine Journalistin. „Das wäre ja kein freier Markt mehr, sondern eine Ökodiktatur“, kontert DSD-Mann Gregor Schönborn und setzt nach: „Und außerdem schaffen wir hier in Bulgarien auf diese Weise 400 Arbeitsplätze.“ Bis 1997 aber hofft das DSD, daß es in Deutschland genügend Plastikverwerter gibt und die Stoffe nicht mehr exportiert werden müssen, um die Vorschriften der Verpackungsordnung einzuhalten. Dann will vor allem die Veba den neuen Markt übernommen haben. Und Maria Simova wird vergeblich auf Spülmittelflaschen aus Deutschland warten.