Hass und Hohn

■ Zweiter Streich der "Jungen Hunde" auf Kampnagel / "Kolik" vom Theater Pilkentafel und "Dressing I-5" von der "Gruppe a.b."

auf Kampnagel / Kolik

vom Theater Pilkentafel und Dressing 1-5 von der Gruppe a.b.

Die Zuschauer sitzen in der Mitte. Im Kreis um sie herum sind acht Spielorte aufgebaut, die der Schauspieler Torsten Schütte der Reihe nach durchläuft. Einmal entgegen dem Uhrzeigersinn, dann, nach einem Zwischenspiel, im Uhrzeigersinn zurück.

Regisseurin Elisabeth Bode hat Kolik von Rainald Goetz, den genial-genialischen Amoklauf eines einsamen Bewußtseins mit und gegen die Welt, den Alkohol, die Sprache, das Leben, nicht an seinem Pathos gepackt, sondern an seiner strengen Form. Aus den 16 Szenen des Ein-Personen-Stücks hat sie die Sprachhaltungen herauspräpariert und mit wenigen, aber konsequent eingesetzten Mitteln inszeniert. Dieser fremde Blick macht die Intensität und Differenziertheit des Sprachterroristen Goetz erlebbar, an dem sich bisher so manche Inszenierung in allzu großer Nähe zur jungen Wildheit fruchtlos abmühte.

Einen großen Anteil daran hat Torsten Schütte. Er schreit und wütet. Er spreizt sich in einem blasierten Dandy-Ton. Er kotzt scheinbar unzusammenhängende Silben aus sich heraus. Er plaudert und doziert. Er schraubt sich hinauf zu einem pastoralen Duktus. Er nuschelt mechanisch immer weiter. Schließlich lallt und torkelt er. Während des ganzen 90minütigen Parforceritts bleibt Schütte stets kontrolliert und transparent. Und er entlockt dem Text, das ist keine geringe Leistung, manchmal gar einen komödiantischen Ton.

Rainald Goetz schreibt Theaterliteratur nach dem Ende des Literaturtheaters. Genauer: zu dessen wiederholter Beendigung. Er erzählt keine Geschichten, stellt keine Menschen dar. Seine Stücke wühlen in dem Paradox, am Theaterspiel sich Wirklichkeit entzünden zu lassen. Hierin traut die Flensburger Theaterwerkstatt Pilkentafel, die sich mit dieser Produktion auf Kampnagel präsentierte, dem Autor nur bedingt. Für diesmal zu Recht. Sie hat einen Weg gezeigt, ein nahezu unspielbares Stück spielbar zu machen, und damit – vor leider nur wenig Publikum – einen Höhepunkt des Festivals Junge Hunde im Mai geboten.

Tags zuvor legte die Gruppe a.b. mit Dressing 1-5 dar, wie nett Theater sein kann, das nur spielen will. Auf einem sauber gezirkelten Kies- Quadrat verlief die zweite Premiere einer Hamburger Gruppe ein wenig wie ein unmerklich außer Rand geratenes Kandidaten-Quiz ohne Showmaster. Haushaltsgegenstände wurden mit absurder Behandlung beseelt und lieferten so Anlaß für freundliche Lacher. Treffliche Momente, etwa wenn mit der Beschreibung eines Gegenstandes gleichzeitig ein metaphernreiches Persönlichkeitsbild des Sprechenden entstand, wechselten sich ab mit mundgerechten Plattheiten.

Mit durchaus feinem Gespür für grotesken Humor aber leider völlig ohne dramatischen Bogen plätscherte das Spiel um die Lächerlichkeit des Profanen eine Stunde vor sich hin. Viele nette Einfälle aus Kabarett, absurdem Theater und Titanic vermischten sich zu einem Bilderbuch des unschuldigen Witzes. Sterbende Puppen und Gurke, großformatige Projektionen von 50er-Jahre-Prospekten und Gymnastik auf einem Topflappen wurden von den fünf Darstellern mit dem Lächeln alberner Schulkinder an den eigenen Kalauern zelebriert. Hätte es Essen und Trinken gegeben, es wäre das perfekt kulinarische Unterhaltungstheater geworden. Dirk Knipphals/tlb