■ Schöner leben
: Wurst im Ruhestand

SCHÖNER LEBEN

Wurst im Ruhestand

Meistens haben sie kleine rote Augen und einen kleinen fleischfarbenen Regenmantel an — die kleinen alten Frauen beim Metzger. Sie stehen so nah an der Theke, daß niemand sie sieht. Aber sie müssen nah ran an die Wurst: Ihr Blick ist so trüb geworden, daß er Mortadella mit Blutwurst verwechselt. Gut, daß man da gleich den Metzger fragen kann, was er so alles hat. Nachher ist sogar ein Rändchen Fleischwurst im Angebot!

Die kleinen alten Frauen stehen meist gebückt. Wahrscheinlich, weil das Perlontäschchen so sehr an ihnen hängt. Fleisch kaufen sie fast nie. Das liegt an diesen kleinen alten Geldbörsen. Da paßt einfach nicht mehr Geld rein! Ein Viertelpfund Hackfleisch mal, wenn die Cousine kommt, wissen Sie, die Frau Meyer. Wenn die kleinen alten Frauen so lange gewartet haben, bis sie drankommen, ist guter Rat teuer: Was nehmen? Ist die Auswahl nicht groß und wunderbar? Soll's vielleicht sogar mal Schinken sein oder doch wieder Leberwurst?

Es faßt einen ein fleischfarbenes Grauen an. Und endlich bricht das Herz, wenn eine Mark und fünfundzwanzig Pfennige in die lebensfrohe Hand des Schlachters wechseln.

Was soll man bloß tun? Vielleicht ein Opfer bringen? Vielleicht Türaufhalten. Claudia Kohlhase