Sanssouci
: Nachschlag

■ Die amerikanische Philosophin Judith Butler in der FU

Es gibt einen englischen Cartoon, auf dem ein Arzt gerade aus dem Kreißsaal kommt und dem hochgradig nervösen Vater strahlend verkündet: „It's ab baby!“ Worüber man hier lacht und daß es hier eigentlich nichts zu lachen gibt, auch dies ließ sich in Butlers Vortrag lernen. Judith Butler ist bekannt-, mittlerweile muß man sagen berühmt geworden mit ihrem 1990 auf englisch und ein Jahr später auf deutsch erschienenem Buch „gender trouble“ („Das Unbehagen der Geschlechter“).

Dort entwickelt sie Ideen, die auch Thema ihres Vortrages waren und die das bisherige feministische Denken anscheinend umkehren: Das biologische Geschlecht (sex) von „Mann“ und „Frau“ kann nicht mehr als natürliche Gegebenheit verstanden werden, die die Grundlage bietet für alle Konstruktionen sozialer und kultureller Geschlechtsidentität (gender); sondern auch das biologische Geschlecht – gerade dieses – erweist sich als konstruiert, als Produkt rhetorischer, diskursiver Praktiken, deren Funktion die immer wieder erneuerte Herstellung der Dichotomie von Männern und Frauen ist und die damit eminent politisch ist.

„Soziales Geschlecht“ wird so zu einer performativen Kategorie: sie beschreibt nicht mehr etwas, was ist, sondern in ihr, durch ihre Verwendung ist sie realitätsmächtig insofern, als die biologischen Körper durch solche performativen Akte allererst sexualisiert, zu Frauen und Männern konstruiert werden. Die Materialisierung von Körpern geht so der kulturellen Sexualisierung nicht mehr vorher, sondern ist ihre (gleichursprüngliche) Folge. Nur durch die sich permanent wiederholende Praxis der Anwendung der zweigeschlechtlichen Norm, des heterosexuellen Gesetzes in der gender-performance werden die biologischen Körper zu dem, was sie sind: zu Männern und Frauen, die es nicht anders „gibt“.

Einmal durchschaut, läßt sich diese Konstruktion von Geschlechtsidentitäten gezielt unterlaufen: Wenn alles im Diskurs konstruiert wird, kann man eben diesem Diskurs durch seine falsche Anwendung, durch Miß-Zitierung den Boden entziehen. Dann läßt es sich trefflich spielen mit dem „anderen“ des herrschaftsmächtigen Diskurses, in dem dieses andere subversiv zum Eigentlichen erklärt und damit auch der Diskurs selbst als Inszenierung enthüllt wird.

Deshalb rekurriert Butler so häufig auf das Vorbild homosexueller Beziehungen, auf das von Transsexuellen und Transvestiten: Überall dort, wo die herrschende Norm nicht weitergeschrieben, die performance umfunktioniert wird, wird, so Butler, auch die Materialisierung des „Sex“ in Frage gestellt und damit die falsche Binarität von „Männern“ und „Frauen“ unterlaufen, die nie ganz vollständige und deshalb auf ständige Wiederholung angewiesene Materialisierung der Körper in zwei Geschlechter unterbrochen.

Butlers sicherlich 200 Zuhörerinnen und vielleicht 50 Zuhörer am Freitag abend in der FU wußten sich zum großen Teil in verschworenem Einverständnis mit der Vortragenden: Auf weite Strecken hin herrschte eher das Klima einer Gemeindeversammlung als eines akademischen Vortrages. Woher kommt diese ungeheure Wirkung, die Judith Butler auf (akademische) Frauen ausübt? Ihre Inszenierung als Person ist zwar beeindruckend, aber so ungewöhnlich nicht, nämlich eher männlich-burschikos, ihr Auftreten höchst souverän, ihre Sprache trotz der komplizierten Materie klar und transparent.

Was Butlers Theorie so attraktiv macht, sind nicht nur ihre utopischen Momente und das Versprechen besserer Zeiten im Geschlechterverhältnis, Zeiten, in denen wir alle mehr oder minder subversiv mit unseren geschlechtlichen Zuschreibungen an uns und andere spielen; was sie vor allem attraktiv macht, ist ihr Impetus gegen die Spielart eines kämpferischen Feminismus, der sich viele Frauen auch heute noch verschreiben. Wenn das Motto nicht mehr Kampf heißt, sondern Spiel, nicht mehr Entlarvung, sondern Verkleidung, nicht mehr Bloßstellung, sondern Maskerade, dann verheißt dies ein neues, aufregendes, nicht mehr gar so anstrengendes und verkrampftes Verhältnis der Geschlechter.

Nun kann man Butler so verstehen, daß das Durchschauen der Konstruktion von sex als gender die „alten“ Forderungen des Feminismus nicht überflüssig werden läßt. Dann wären „wir“ einfach (wie üblich) die Avantgarde, die ihr Spiel sogar so weit noch treiben muß, daß sie zwar die Dekonstruktion der Kategorien begreift, sie aber weiterhin in bestimmten Kontexten verwenden muß, um in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht ganz die Stellungen zu verlieren. Allerdings bräuchte man hierfür die Idee autonomer und emanzipierter Subjekte – wie anders könnte man etwa die Abwehrkämpfe gegen den Abtreibungsparagraphen 218 oder andere (notwendige) gesellschaftliche Gefechte beschreiben?

Wenn Butler allerdings auch noch das Subjekt im Diskurs verschwinden läßt, ist nicht mehr erkennbar, wie sich eine anschlußfähige politische Theorie entwickeln läßt. Dann ist nur noch ein Spiel mit verschiedenen, diskursiv erzeugten und nur im Diskurs vorhandenen Maskeraden möglich: Und es fällt – auch unabhängig von politischen Postulaten – schwer, sich diese Spiele angesichts der bislang nicht gerade umstürzlerischen homosexuellen Beziehungen vorzustellen; ganz abgesehen davon, daß sich ohnehin die bisher bekannte Männlichkeit (bis auf ein paar Ausnahmen vielleicht) nicht gerade für ein subversives Spiel mit den Geschlechterrollen und -identitäten empfiehlt.

Solange die politischen Verhältnisse so sind, wie sie sind, scheint ein (kollektives) Subjekt „Frau“ notwendig – und sei es als kulturelle Fiktion – um den alltäglichen politischen Kampf um gesellschaftliche Anerkennung ausfechten zu können. Oder ist gerade das der Fehlschluß, wie Butler suggeriert, da eben diese Fiktion die falsche Dichotomie von „den“ Frauen und „den“ Männern nur immer weiter am Leben hält und deshalb immer weiter problematische Identitäten produziert? Daß Butlers Theorie politisch ungleichzeitig daherkommt, spricht keineswegs gegen sie. Aber ob sie der Vorschein besserer Zeiten ist, hängt davon ab, wer halten kann, was sie verspricht. Beate Rössler