piwik no script img

Zurück in die Zukunft

■ 1. FC Nürnberg–Bayern München 0:0 / Ein reaktivierter Opa rettet dem Club einen wichtigen Punkt gegen den Abstieg

Berlin (taz) – Es war der 1. Mai anno 1982, der Schauplatz: das Frankfurter Waldstadion. Der österreichische Nationalspieler Reinhold Hintermaier steht 35 Meter entfernt vom gegnerischen Tor und findet keine rechte Anspielstation, aus lauter Verlegenheit schießt er halt mal aufs Tor. Der Ball flattert, wendet sich mal nach links, dann wieder nach rechts und findet sich am Ende seiner wahnwitzigen Irrfahrt schließlich im rechten, oberen Toreck wieder. Es steht 1:0 für den 1. FC Nürnberg im DFB-Pokalfinale gegen den FC Bayern München. Zur Halbzeit führte der Club nach einem weiteren Tor von Linksaußen Dressel verdient mit 2:0. Doch nach der Pause trafen die Bayern viermal und gewannen erwartungsgemäß doch noch den Pokal. Es war die Zeit, als die Münchener besonders krampfhaft versuchten, endlich mal wieder Eurocup-Sieger zu werden, was ihnen kurz darauf im Landesmeister-Finale gegen Aston Villa gründlich mißlang. Sie verloren in Rotterdam siegessicher 0:1 und widmeten sich fortan noch intensiver ihrem Plaisier, hoffnungsvolle Nürnberger Mannschaften leerzukaufen. Den bayerischen Konkurrenten, der eigentlich ein fränkischer ist, kleinzuhalten war manchmal wichtiger, als Meister zu werden.Fast genau elf Jahre später wird eine neue Anekdote in die unendliche Geschichte der fränkisch-bayerischen Rivalität eingefügt. Genau jener Reinhold Hintermaier, 1984 in Nürnberg nach einem Schienbeinbruch ausgemustert, lief nämlich zum exakt 157. Spiel zwischen den beiden Rekordmeistern wieder auf. Und der inzwischen zum Spielertrainer der in der Landesliga kickenden Amateurmannschaft Avancierte bestritt auch noch passenderweise genau sein 100. Bundesliga-Spiel.

Der aus schierer Not geborene Einfall, auf Hintermaier zurückzugreifen, wurde zum taktischen Glücksfall. Der inzwischen 37jährige spielte Libero und hielt den durch Verletzungen extrem dezimierten fränkischen Hühnerhaufen so erstaunlich souverän zusammen, daß Nationalkeeper Andreas Köpke nur staunen konnte: „Der kennt keine Nerven.“ Der Österreicher sorgte mit seinen Pässen auf Christian Wück sogar für die seltenen Chancen der Nürnberger. Der ebenfalls lädierte Manfred Schwabl forderte gar eine Verpflichtung von Hintermaier für die nächste Saison, doch der überschwenglich Gelobte winkte ab: „Nein, danke!“ Überhaupt blieb Hintermaier selbst der einzige, der sein Comeback halbwegs realistisch sah. Während sogar Erich Ribbeck dem Nürnberger Trainer Willi Entenmann („Er hat alle unsere Erwartungen übertroffen“) bescheinigte, er habe mit der Reaktivierung Hintermaiers eine „tolle Idee“ gehabt, wollte sich der ehemalige österreichische Nationalspieler noch nicht einmal festnageln lassen, ob er in den letzten Wochen der Saison noch einmal seine Knochen hinhalten will: „Ich muß erst mal abwarten, wie ich das Spiel körperlich überstehe. Im Moment weiß ich nur, daß ich unheimlich müde bin.“Und das alles alles wegen einem 0:0? Daß sich die auflaufende Verletztenmisere und der Möchtegernmeister die Punkte teilten, rettet die einen möglicherweise vorm Abstieg und kostet den anderen vielleicht die Meisterschaft. Um so mehr, weil Nationallibero Olaf Thon zur Halbzeit mit Bänderdehnung und Kapselanriß ausfiel und mindestens drei Wochen fehlen wird. Doch was wäre gewesen, wenn Mehmet Scholl anstatt den Pfosten ins Tor getroffen hätte? Oder wenn Schiedsrichter Gläser beim Kopfball-Tor von Labbadia kein Abseits gesehen hätte? Was wäre dann aus der „tollen Idee“ geworden? Vor elf Jahren machte man Hintermaiers Lauffaulheit für die Pokalniederlage verantwortlich – trotz seines Tores. Aber so ist Fußball, und so wird auch aus einem erbärmlichen 0:0 noch ein klasse Spiel mit reichlich Gesprächsstoff. Und das ist für Reinhold Hintermaier elf Jahre später ganz sicher eine kleine Genugtuung. to

FC Bayern München: Aumann - Thon (46. Münch)- Kreuzer, Helmer - Jorginho, Matthäus (46. Wohlfarth), Wouters, Schupp, Ziege - Scholl, Labbadia

Zuschauer: 50.114 (ausverkauft)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen