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VW-Werk in Sarajevo abhanden gekommen

■ Verlust von 250 Millionen Mark beklagt / Desinteresse über Belegschaft

Berlin (taz) – Eine dreiviertel Stunde lang redet der Präsident des Europäischen Volkswagen- Konzernbetriebsrates über internationale Solidarität und die notwendige Zusammenarbeit der Belegschaften von Wolfsburg bis Südafrika. Er streift die Probleme in China und die Herausforderungen im Osten. Aber um Bosnien- Herzegowina macht er einen großen Bogen.

Aus der ganzen Welt sind sie zusammengekommen, die GewerkschafterInnen der Volkswagenwerke, um Informationen auszutauschen und über die Zukunft zu reden. Nur aus dem ehemaligen Jugoslawien ist keiner dabei. Und so wie im Eröffnungsreferat des Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert, so bleiben die 3.000 verschollenen VW-KollegInnen auch an den folgenden drei Tagen ein Nicht-Thema.

Keine Erinnerung, keine Solidaritätsadresse, nicht einmal mehr einen Punkt auf der Landkarte sind sie den Wolfsburger Kollegen noch wert. Sogar in den zahlreichen Broschüren, die so eine internationale Veranstaltung begleiten, auf allen Karten und Grafiken ist das Volkswagenwerk in Sarajevo bereits ausradiert. Dabei ist das Werk formal nie geschlossen worden, es ist dem Konzern vielmehr abhanden gekommen. Noch fast bis vor einem Jahr rollten in Sarajevo Golf-Modelle für den südosteuropäischen Raum vom Band. Daneben wurden noch Zulieferteile für andere VW-Werke hergestellt. Aber als sich der Krieg um die bosnische Hauptstadt zusammenzog, holte die Konzernleitung, nach einigem Zögern, die deutschen Manager und Vorarbeiter nach Wolfsburg zurück. „Wir haben dann“, erinnert sich VW-Arbeitsdirektor und Vorstandsmitglied Alexander Kowling, „in Eilprogrammen die Produktion auf VW-Standorte in anderen Ländern verlagert“. Für Volkswagen bedeutete das einen Verlust von „mehreren hundert Millionen Mark“, klagt Vorständler Kowling.

Im 60seitigen VW-Geschäftsbericht für 1992 taucht TAS, wie die hundertprozentige VW-Tochter in Sarajevo hieß, nur ein einziges Mal auf. Unter dem Stichwort „Dividende“ heißt es, daß „der Ausfall des Gemeinschaftsunternehmens TAS in Bosnien-Herzegowina das Ergebnis beeinträchtigte“.

Auch der Geschäftsführer des VW-Eurobetriebsrates, Hans-Jürgen Uhl, macht sich große Sorgen um die finanziellen Auswirkungen. Durch die Verluste in Sarajevo, gibt er zu bedenken, sei der Druck auf die ohnehin gefährdeten Arbeitsplätze in den anderen VW-Werken noch gestiegen. Auf Nachfrage äußert er auch Bedauern über das Schicksal der ehemaligen jugoslawischen Kollegen.

Einige von ihnen seien von der Konzernleitung rechtzeitig an andere Standorte versetzt worden, lobt er – zur VW-Tochter Skoda etwa, zu VW-Mexiko oder auch in die Zentrale nach Wolfsburg. „Hervorragende Techniker und Ingenieure sind das“, schwärmt der Betriebsrat, räumt aber dann ernüchternd ein, daß „leider nur eine Handvoll“ auf diesem Weg gerettet wurde.

Was mit den weniger qualifizierten, knapp 3.000 anderen KollegInnen passiert ist, weiß auch der Betriebsrat nicht. Die einst „sehr guten bilateralen Beziehungen“ zu den Arbeitnehmervertretern in Sarajevo sind vollständig abgerissen. „Die Belegschaft hat sich schon früh in die verschiedenen Nationalitäten gespalten“, vermutet Uhl. Was wohl heißen soll, daß die Mitarbeiter jetzt wahrscheinlich aufeinander schießen. Vielleicht ist darin auch der Grund für das merkwürdige Desinteresse der Wolfsburger am Schicksal der ehemaligen KollegInnen zu suchen.

Immerhin hat der Betriebsrat in Erfahrung gebracht, daß die Fabrik im serbisch kontrollierten Gebiet liegt und mehrfach geplündert wurde. „Da werden wohl“, sagt Uhl bedauernd, „nie wieder Volkswagen gebaut werden.“ Alois Berger

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