Kommt die Urwahl im Enkelstreit?

■ SPD-Spitze debattierte in Bonn über den Wahlmodus zur Nachfolge Björn Engholms

Bonn (taz/AFP) – Es gibt entschieden zu viele Häuptlinge in der SPD. Sollen deshalb jetzt die Indianer entscheiden? Danach sah es gestern abend aus. Die führenden Genossinnen und Genossen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hatten übers Wochenende eine Unzahl von Erklärungen ab- und Meinungen zum besten gegeben, wie und wann die Nachfolge ihres Parteichefs und Spitzenkandidaten Björn Engholm geregelt werden könnte und sollte. Die meisten begünstigten eine „Urwahl“ des Spitzenkandidaten beziehungsweise der -kandidatin durchs Parteivolk. In diese Richtung schien sich dann gestern nachmittag auch das Präsidium der Partei zu bewegen. Am Abend – nach Redaktionsschluß – kamen die Landes- und Bezirkschefs mit dem amtierenden SPD-Vorsitzenden Johannes Rau zusammen.

Der niedersächsische Regierungschef Gerhard Schröder, der bislang als einziger seinen Anspruch auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur förmlich angemeldet hat, wies in einem Interview mit der taz darauf hin, daß eine solche Abstimmung nur den Wert einer Meinungsumfrage habe. Er habe allerdings nichts gegen eine solche Befragung einzuwenden, wenn dies „nicht zu unziemlichen Verzögerungen führt“. Schröders Konkurrentin Renate Schmidt votierte vorsichtig für eine Urwahl. Die stellvertretende Parteivorsitzende Herta Däubler-Gmelin und die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ingrid Matthäus-Maier sprachen sich eindeutig für eine Urwahl aus, ebenso wie Manfred Stolpe, erneut Wolfgang Thierse, der Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Klose und sein Stellvertreter Rudolf Dreßler. Däubler-Gmelin betonte, eine Urwahl sei mit der Satzung der SPD sehr wohl vereinbar. Matthäus-Maier erhofft sich davon ein Signal gegen die Politikverdrossenheit. Sie schlug zugleich die bayerische Landesvorsitzende Renate Schmidt als Kanzlerkandidatin vor.

Die Bundesschatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier sprach sich hingegen wegen der hohen Kosten strikt gegen eine solche „Urwahl“ aus. Sie erklärte im Saarländischen Rundfunk, eine Urabstimmung würde 1,9 Millionen Mark kosten, wenn das Rückporto eingerechnet werde. Die Schatzmeisterin forderte, statt dessen den für November geplanten Bundesparteitag vorzuziehen. Inge Wettig- Danielmeier schlug das Präsidiumsmitglied Heidemarie Wieczorek-Zeul als neue SPD-Chefin vor. Der Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur sollten getrennt werden.

Heidemarie Wieczorek-Zeul äußerte Zweifel daran, ob die Idee der Urwahl „aktuell verwirklicht werden kann“. Auch Hessens Ministerpräsident Hans Eichel hält es für falsch, „Hals über Kopf eine Urwahl einzuführen“. Er sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, für die Wahl des Parteivorsitzenden gebe es in der SPD-Satzung „äußerst demokratische Regelungen“, die sich bewährt hätten und nicht geändert werden sollten.

Der amtierende Bundesvorsitzende Johannes Rau warnte davor, die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten zu übereilen. Die Frage, ob Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur getrennt werden, solle von den jeweiligen Bewerbern abhängig gemacht werden. Rau sagte, es könne eine Situation eintreten, in der er auch bereit sei, länger als bis zum nächsten Parteitag die SPD zu leiten. Tagesthema Seite 3