"Liebe taz..."
: Verbale Pharmaka

■ zu: Grüner Streit um Bosnien, taz vom 8.5.93

Wenn Begriffe wie Stonehedge-Steine in der verbalen Jetztzeit herumstehen, dann darf man die, die damit heute noch neues bauen möchten, mit Fug und Recht als Altkonservative bezeichnen. Den Ritterschlag erhält heute Arendt Hindricksen - und das nach nur drei kurzen Sätzen in der taz. Alle Achtung!

Stonehedge 1: „Kritische Distanz muß bewahrt werden.“ Weshalb glaubt bloß alle Welt, kritische Distanz sei etwas Gutes, weshalb ist Distanz überhaupt kritisch? Wenn ich Distanz zwischen mich und ein Objekt lege, wo kommt dann auf einmal die Kritik her? Hinter diesem Sprachspiel steckt das Bild eines Menschen, der zwanghaft jeden Kontakt zur Realität vermeidet.

Stonehedge 2: “Emotionen sind schädlich“: Der Text des Flugblatts sei zu emotional- wäh Bäh!“. Der gute, alte Geist Körper-Dualismus zuckt noch immer. Jeder Neurobiologe schwört, daß Geist und Gefühl in ein und demselben Gehirn und stets gleichzeitig stattfinden, daß eine Trennung garnicht möglich ist, doch die philosophische Karawane zieht weiter. Unemotionales Denken ist daher immer geistlos... und das führt mich zum nächsten Blackout dieses Landeswotans.

Stonehedge 3: “Weit hergeholt“ sei das Thema. Da allerdings ist mir der Kragen geplatzt und deswegen habe ich hier diesen Ausschank eröffnet. Das ist das gute alte Zweierlei-Maß der Dialektik. Wie kann man glauben, man käme damit durch die Tür? Wie war das mit dem Weit-hergeholt damals in Vietnam, in Nicaragua, wie ist es beim Ozonloch über der Antarktis und beim Kampf des ANC? Vollends Philister geworden?

Ihr fühlt (Emotional!!!), es gibt keine radikal-pazifistische Antwort auf das, was in Bosnien geschieht, die zugleich den einfachsten Gesetzen der Vernunft genügt und Erfolg verspricht. Das ist das Dilemma - für euch, wie auch für mich. Selbst, wenn ich kritische Distanz einnehme, sehe ich KZs, Mord, Vergewaltigung: Das bleibt auch so, wenn ich meine Emotionen zu beruhigen suche, und es wird auch nicht besser, wenn ich darüber nachdenke, wie weit das doch hergeholt ist. Die Wörter, mit denen ihr euch pseudokritische Überlegenheit suggeriert, sind in Wahrheit verbale Pharmaka mit dämpfender Wirkung, die das Verfallsdatum weit überschritten haben. Roasarote Brillen für die Seele... Mit ihnen und eurem Circus maximalismus helft ihr dem Pazifismus nicht auf die Beine. Klaus Jarchow