Nachschlag

■ Gorilla-Horror-Show auf den Neuköllner Maientagen

Auf dem Rummelplatz tut man sich um, bis sich einem der Magen umdreht. Da ißt man kandierte Äpfel und Zuckerwatte und zur herzhaften Abwechslung eine Thüringer Rostbratwurst mit Senf. Spätestens nach der Berg- und Talfahrt rebelliert es dann gewaltig im Bauch. Nun ist es Zeit für die wahren Attraktionen.

Wie überall gibt sich auch der Rummel in der Hasenheide neuerdings zeigtgemäß computerprogrammiert: Die Wahrsagerin im kleinen bunten Zelt von einst ist zur buntstählernen „Cartinante“ geworden, die auf Endlospapier EDV-erstellte Orakel ausspuckt; dem vorbeiziehenden Kraftprotz winkt ein Maschinenstier, der müde zu blinken beginnt, wenn man ihm gegen den gepolsterten Schädel schlägt: „I'm the champion.“

Kleinfamilien promenieren gelangweilt über die verschlampten Wege: Vor den Spielbuden herrscht gähnende Leere, im Festzelt lauschen allein die Maibowle-geschwängerten Ehefrauen dem „Tanzorchester Echo“, nur bei der Losbude Wollenschläger sammelt sich eine Menschenmenge. Das Los kostet hier immer noch fünfzig Pfennige. Auf dem Weg liegt auch ein kleines schäbiges Zelt mit durchdringendem Lautsprecher: die „Zambora-Gorilla-Horror-Show“. Eine knarzende Stimme mit rollendem „r“ lockt hinter die dunkle Plane: „Hier sehen Sie das erste Mal Zambora, das mysteriöseste weibliche Geschöpf, eingefangen in der Nähe von Nairobi.“ Vermutlich ist sie das Opfer eines grausamen Experiments. „Wir werden das hübsche Mädchen in einem Stahlkäfig einschließen und in einen Gorilla verwandeln“, verspricht der Lautsprecher, Herzkranke und schwangere Damen besuchen die Show natürlich auf eigene Gefahr. Aber es finden lediglich ein paar Kinder mit ihren Papis den Weg ins dunkle Zelt. „Treten Sie näher“, ruft der Animateur, „hier können Sie was erleben, hier fängt der Käfig an zu beben.“ Die „Daktaribongos“ im Hintergrund schlagen einen Rhythmus wie aus „King Kong und die weiße Frau“, als endlich eine freundlich dreinblickende Frau in Sommerhose und T-Shirt vortritt: Zambora nimmt auf dem „elektrischen Stuhl“ Platz. Für die Transformation wird sie unter Strom gestellt und bringt zum Beweis eine drahtlose Neonröhre zum Leuchten.

Das noch gar nicht so mysteriöse Geschöpf wird in den Käfig gesperrt, jetzt kann die Verwandlung beginnen: Im schummrigen Licht bekommt Zambora plötzlich scharfe Eckzähne und dunkles dichtes Fell – da ist sie, die annoncierte schreckliche Gorillafratze. Gebannt starren die Kinder für einen kurzen Moment auf das leibhaftige Grauen. Dann herrscht schon wieder die Dunkelheit der Phantasie.

„Ich verwandele Zambora jetzt zurück, aber zuvor werde ich sie wecken“, raunt der Ansager mit der immer gleichen monotonen Stimme, da stürzt der Kartenabreißer herein und schreit atemlos: „Achtung! Die Tür ist offen!“ Wie auf Kommando springt der blutrünstige Gorilla heraus und brüllt angemessen furchterregend. Von den Kindern hat der Großteil fluchtartig heulend und zähneklappernd das Zelt verlassen und wird wohl nie erfahren, wie banal sich der Schrecken löst: Umstandslos verschwindet Zambora im Käfig und tritt mir nichts, dir nichts als junge Frau wieder heraus. Das Mysterium hat keine fünf Minuten gedauert. Petra Lüschow