Dicke Luft im Landtag

■ Grenzwerte für Innenraumluft bis um das 500fache überschritten / Grüne fordern von Laurien Konsequenzen

Mitte. Die Mehrheit der etwa 300 Beschäftigten des Parlaments und der Abgeordnetenhausfraktionen soll seit Tagen über Kopfschmerzen, Müdigkeit, Unwohlsein und Konzentrationsschwächen klagen. Dies berichtete gestern Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne. Köppl kennt auch die Ursache. Seine Fraktion ließ die Innenraumluft im Landtag, in dem zur Zeit die Bauarbeiter Wände verputzen, Böden grundieren und Teppiche verkleben, untersuchen. Das Ergebnis: Durch die verwendeten Lösungsmittel „liegt eine chronisch leichte Vergiftungssituation vor“, urteilt der Abgeordnete und Arzt.

Die Landtags-Luft ist mit den Dämpfen angereichert, die sich aus offenen Farbtöpfen und Kanistern verflüchtigen sowie aus Böden und Wänden dünsten. Diese Lösemittel – kurzfristig treten sie in der 500fachen Konzentration der vom Bundesgesundheitsamt empfohlenen Grenzwerte auf – lösten sich besonders gerne im Blut und im Fettgewebe des Menschen, berichtete Köppl. Bei einer einwöchigen Untersuchung in einem Raum von Bündnis 90/Grüne konnte eine zwanzigfache Überschreitung von Xylol, Trimethylbenzol und Ethylacetat nachgewiesen werden. Die Grünen wiesen auch darauf hin, daß auf Baustellen – und um nichts anderes handelt es sich bei dem Preußischen Landtag noch bis in die parlamentarische Sommerpause in sechs bis acht Wochen hinein – aus gesundheitlichen Gründen keine Kantinen betrieben werden dürfen. Besagte Lösungsmittel lagern sich nämlich auch bevorzugt in fetthaltigen Lebensmitteln an. Es müsse davon ausgegangen werden, daß die Lebensmittel der Landtags-Kantine „erheblich“ belastet seien, sagte Mediziner Köppl. Von der Luft und dem Essen seien besonders Personen mit asthmatischen Beschwerden betroffen und schwangere Frauen gefährdet.

Die Grünen werfen nun Landtagspräsidentin Hanna-Renate Laurien (CDU) vor, das Abgeordnetenhaus sei zu überstürzt vom Rathaus Schöneberg nach Mitte umgezogen. Sie fordern die Präsidentin auf, sofort das Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (LAfA) einzuschalten. Möglicherweise müsse die Arbeitszeit von Beschäftigten, die besonders sensibel auf die Schadstoffe reagieren, täglich auf die Hälfte reduziert werden. Die Grünen bemängelten darüber hinaus, daß das Abgeordnetenhaus mit seinen Beschlüssen bei öffentlichen Bauvorhaben auf den Gebrauch umweltfreundlicher Materialen dränge, sich selbst aber nicht daran halte. Das habe sich schon beim Einsatz klimaschädlicher FCKW und den Tropenholz-Türen gezeigt. Dirk Wildt