Britische Panik nach dem „Tritt in den Hintern“

■ Nach den Wahlniederlagen zerpflücken die Hinterbänkler die Regierung

London (taz) – Nach dem doppelten Wahldebakel der britischen Konservativen vom Donnerstag – als sie nicht nur ihre ehemalige Hochburg Newbury verloren, sondern auch noch fünfzehn von sechzehn Grafschaften – liegen bei den britischen Konservativen die Nerven blank. Am Wochenende begann die Suche nach einem Sündenbock. Die Hinterbänkler der Partei fanden ihn schnell in Finanzminister Norman Lamont und forderten seine Ablösung, weil ihm es bisher nicht gelungen sei, Großbritannien aus der längsten Rezession seit den dreißiger Jahren zu führen.

Ein Berater des Premierministers John Major sagte über die geforderte Kabinettsumbildung: „Das wird nicht heute oder morgen geschehen, aber wahrscheinlich eher früher als später. Es muß sich etwas ändern.“ Und Marcus Fox, der Vorsitzende des einflußreichen Hinterbänkler-Komitees von 1922, sagte: „Wenn wir unsere Politik durchsetzen wollen, dürfen wir nichts ausschließen.“ Hinter vorgehaltener Hand geben viele Tory-Abgeordnete jedoch zu, daß nichts gewonnen wäre, wenn man „ein mittelmäßiges Blatt neu mischt“ – im Gegenteil: Es würde die Spaltung der Partei noch verstärken.

Die Tory-Parteiführung versuchte gestern auf einer Krisensitzung, den Schaden zu begrenzen und die Abgeordneten, bei denen sich langsam Panik breitmacht, zu beruhigen. Der Vorsitzende Norman Fowler sagte: „Es wird keine übereilte Reaktion und schlagartige Veränderung unserer Politik geben.“ Umweltminister Michael Heseltine stieß ins gleiche Horn. Es sei sinnlos, den Finanzminister durch eine andere Person zu ersetzen, weil die Probleme dieselben blieben, sagte er.

Der frühere Parteivorsitzende Kenneth Baker fügte hinzu: „Wir dürfen jetzt den Kopf nicht verlieren. Die Zeit ist auf unserer Seite. Die nächsten Parlamentswahlen finden erst in vier Jahren statt.“

Doch soviel Zeit hat John Major nicht, um seine desolate Partei wieder zusammenzuflicken. Experten geben ihm dafür höchstens ein Jahr. Hat er es bis dahin nicht geschafft, werden ihn seine Kabinettskollegen wie eine heiße Kartoffel fallenlassen. Major versprach am Wochenende, sich die „blutige Nase“, die ihm die WählerInnen verpaßt haben, eine Warnung sein zu lassen. Der Daily Star drückte es weniger vornehm aus: „Die Torys haben am Donnerstag mehr als eine blutige Nase abbekommen. Sie haben einen wohlverdienten Tritt in den Hintern erhalten.“

Die richtungslose Wirtschaftspolitik ist nur ein Grund für das Wahldebakel. Andere Faktoren kommen hinzu. So sagte der Tory- Abgeordnete Peter Tapsell: „Wir müssen sofort reagieren. Der Plan, die britische Eisenbahn zu privatisieren, erscheint mir nicht sehr klug.“ Und auch bei Londons Autobusfahrern stoßen Privatisierungspläne auf Ablehnung: Gestern kam es erneut zu einem eintägigen Warnstreik.

Im Bildungsbereich brodelt es ebenfalls: Erziehungsminister John Patten hat LehrerInnen und Eltern gegen sich aufgebracht, weil er Schulkinder im Alter von sieben, elf und vierzehn Jahren durch aufwendige Examen testen lassen will. Bei Umfragen haben sich 64 Prozent der Eltern dagegen ausgesprochen, und die LehrerInnen haben angekündigt, die Examen in diesem Sommer zu boykottieren. Ralf Sotscheck