Die zweite Invasion in Japan

US-Computerfirmen haben in Nippon einen Preiskrieg entfacht / Japanische Schriftzeichen kein Hindernis mehr für Marktzugang  ■ Aus Tokio Georg Blume

„Japan liegt nicht auf dem Mars.“ Nippon-Guru Thomas J. Howard brauchte Jahre, um seine Firma, den führenden US-Computerhersteller Compaq, von dieser einfachen Wahrheit zu überzeugen. „Alle sagten, was für große Möglichkeiten Japan biete, aber dann war ihnen die Anstrengung doch zu groß.“

Inzwischen leitet Howard die strategisch bedeutendste US-Invasion in Japan seit dem Zweiten Weltkrieg. Amerikas Computerhersteller sind ausgezogen, um Nippon dort zu besiegen, wo sich das Inselreich unschlagbar dünkt: auf den Heimmärkten der Hochtechnologie. Im Oktober vergangenen Jahres eröffnete Compaq völlig unerwartet die Schlacht: Mit einer neuen Linie superbilliger Kleincomputer und einer aggressiven Werbekampagne wirbelte die Firma den scheinbar festgefügten japanischen PC-Markt auf. Zwar verkaufte Compaq im letzten Quartal von 1992 zunächst nicht mehr als 12.000 Modelle, doch schon seit Januar hat die Firma ihren monatlichen Absatz auf 10.000 Geräte gesteigert. Die Ruhe der japanischen Hersteller ist damit dahin.

Erfolgreichstes US-Unternehmen auf dem japanischen Computermarkt ist bislang Apple Computer. Von 1,4 Prozent 1989 steigerte die Firma ihren Marktanteil in Japan 1992 auf 8,3 Prozent. Zum Abschluß eines neuen Vertriebsabkommens mit dem Büromaschinenhersteller Canon besuchte Apple-Chef Michael Spindler vor wenigen Tagen Tokio und verkündete den Amerikanern „ungeheure Wachstumsmöglichkeiten auf dem zweitgrößten Computermarkt der Welt“.

Marktführer NEC, dessen Computerware durchweg das Doppelte der neuen Konkurrenz kostete, sah sich schon Anfang des Jahres gezwungen, eigene Billigmodelle anzubieten, deren Preis freilich immer noch ein Drittel über der neuen Konkurrenz lag. Entgegen allen japanischen Wettbewerbsregeln startete NEC eine Werbekampagne, welche die US- Eindringliche direkt angriff. Das NEC-Management behauptete frech, amerikanische Computer passen sich der japanischen Kultur nicht an.

In Wirklichkeit taten Apple, Compaq, Dell und IBM genau das. Denn um in Japan eine Chance zu haben, mußten die Amerikaner zunächst die japanischen Schriftzeichen lernen. Bislang machte die Schrift Japans Computer für den Rest der Welt inkompatibel. Schließlich wurde selbst die überall gängige DOS-Software von Microsoft nicht für die Zeichenschrift entworfen. Alle in Japan gängigen Betriebssysteme für Computer waren deshalb ins Japanische umgeschriebene Versionen des DOS- Systems, die jeweils nur im eigenen Land mit Geräten von derselben Firma funktionierten. So verfügte NEC über eine DOS-Version, aber auch Toshiba, Hitachi und Fujitsu. Weder untereinander noch mit dem Ausland ließen sich die japanischen Markencomputer verbinden.

Die erste Revolution schaffte Microsoft bereits 1991: Das neue Betriebssystem DOS/V für alle IBM- und IBM-kompatiblen Geräte operierte erstmals sowohl mit unserem Alphabet als auch mit japanischer Schrift. Der Inselstatus der japanischen Computerwelt war unwiderruflich aufgehoben.

IBM gründete zur schnellern Vermarktung des Systems eine für alle Unternehmen offene Nutzergruppe, der bereits führende Konzerne wie Hitachi, Toshiba, Sharp und Mitsubishi angehören. Besonders Hitachi, die japanische Nummer Zwei bei den Großcomputern, begeisterte sich für das IBM-Angebot. Zudem ist das DOS/V-System auch mit einer bisher nur von Sharp, Mitsubishi und Sanyo genutzten japanischen DOS-Version für IBM-kombatible Geräte vereinbar.

Der Riese NEC aber bewegte sich nicht. Mit einem Anteil von 53,4 Prozent (1992) an dem 15 Milliarden Mark umfassenden PC- Markt glaubten sich die Konzernherren in Sicherheit – bis Microsoft in diesem Jahr die zweite Revolution verkündete.

Schon im Mai wird Microsoft die neueste japanische Version seiner Windows-Software einführen, die auch schon den amerikanischen PC-Markt umgekrempelt hat. Die für Windows geschriebenen Programme können nun sowohl auf IBM- als auch auf NEC- Computern laufen, die bisher inkompatibel waren. Damit könnte Windows den Vorsprung von NEC-Geräten neutralisieren, für die bisher ein Zehnfaches an japanischen Softwareangeboten zur Verfügung steht. Susumu Shinbori, Manager des US-Softwarehauses Lotus Development in Japan, sagt voraus, daß der IBM- Standard bis 1994 einen Marktanteil von 35 Prozent in Japan gewinnen kann, während der NEC-Anteil auf etwa 40 Prozent zurückfällt.

Dagegen sehen NEC-Manager ihren Marktanteil nicht in Gefahr. „Der Preis ist ein Faktor, aber in Japan reichen billige Preise nicht zum Verkauf“, meint Katsuichi Tomita, Leiter der PC-Verkaufsabteilung bei NEC. „Die Frage ist vielmehr, wieviel Unterstützung man dem Kunden bietet, über wie viele Beratungs- und Reparaturniederlassungen man verfügt.“ In Japan hat NEC 650 Großhändler und 7.000 Einzelgeschäfte. Compaq verfügt über nur 40 Großhändler.

Japaner gebrauchen PCs zudem zu anderen Zwecken als Amerikaner. Nur sehr wenige Japaner arbeiten zu Hause; Heimarbeiter stellen dagegen in den USA einen wesentlichen Kundenanteil im PC- Geschäft. 80 Prozent der japanischen PC-Nachfrage kommt direkt aus den Unternehmen. Dabei ist die Anwendung speicherintensiver Programme in Japan weit weniger fortgeschritten als in den USA. Nippons Management beruht auf Gruppenprozessen, die Einzelarbeit am Bildschirm ist weniger gefragt.

Vorerst rechnen die amerikanischen Computerfirmen mit bescheidenen Erfolgen: Compaq verspricht sich einen Marktanteil von zehn Prozent in fünf Jahren. IBM will seinen Anteil von heute sieben auf zehn Prozent zum Jahresende steigern.

Doch falls sich die neuen Betriebssysteme auch in Nippon durchsetzen, werden Japaner und Amerikaner nicht lange allein sein: Dann könnten die Billigproduzenten aus Taiwan und Korea – die aufgrund der hohen Einstiegskosten auf dem japanischen Markt bisher völlig fehlen – mit ihren IBM-kompatiblen Geräten Japan überschwemmen.