piwik no script img

Tortuga, Skulpturoide und Hinkelstein

■ „Traversale“ — ein Bremen-Münchener Bilderhauerprojekt / Ausstellung in der Städtischen Galerie.

Vor der Städtischen Galerie im Buntentor liegen dieser Tage mehrere gewaltige Hinkelsteine. Wer die Galerie betritt und in den ersten Stock steigt, entdeckt den Tiefsinn: Die viele Tonnen schweren Ungetüme wurden vom Kran in der Form eines Blütenblattes gelegt.

Die Künstlerin, die solche Massen bewegt (die Findlinge stammen aus Dänemark) heißt Carola Heine und kommt aus München. Sie hat sich, nachdem sie eher in kleinerem Maßstab und mit Holz gearbeitet hat, dem illustren Kreis der Findlingsucher angeschlossen, die die dicken Babies weltweit auftreiben und Spitzenpreise bis zu 40.000 Mark dafür zahlen. Die Bildhauerin vermutet „Sehnsucht nach unbeherrschter Natur“, sie selbst beschäftigt sich „mit dem Stein an sich“.

„Transversale“ heißt das Bremen-Münchener Bildhauerprojekt, das in der Städtischen Galerie ausgestellt wird. Aus Bremen ist z.B. Gunther Gerlach dabei, der Mann mit den großen Baumstücken, die von den Spuren seiner Kettensäge gezeichnet sind. Er nennt sie „Skulpturoide“, weil sie wie aus dem All niedergestürzt wirken. Auch sie haben etwas so Körperliches, daß sie wie hilflose Wesen wirken — Gerlach hat seine Leitern dazugelegt, wie zum Transport von „wie zur Heilung getragener Körper“.

Die Arbeiten sind, sagt Gerlach in einem Text zur Ausstellung, „weder Sockelskulptur noch Dekor, sie sind eher Sockel oder Boden selbst ... mit der Absicht, es zum Bedeutungsträger zu verwandeln, es zu einem sprechenden Bild werden zu lassen.“

„Tortuga“ nennt der Münchener Heinz Pfahler seine Bodeninstallation aus sinnlos verlaufenden Schienen, einer Lore, einem Schildkrötenpanzer und mehreren Kegeln, die wie Tierköpfe aussehen. Sein Thema ist die Langsamkeit, über die er hier mit einem leichten Hang zur Mystifikation arbeitet. Sein Kollege Gino Tavernini, in Bremen bekannt vom „Brückenprojekt“ 1990, zeigt seine blauen Kugeln und Zinkwannen, in denen blaue Flaschen schwimmen — sehr zeichenhafte, penible Arbeiten. Harald Finke hat die technisch aufwendigste Installation, sog. Haferdepots, Kisten voller Hafer, in denen Spannungsänderungen per Computer in Stimme übertragen werden — ein „Kornmedialog“.

Am stärksten auf den Ausstellungsort bezogen arbeitet Edgar Lorenz, der in München die Winterverpackung von Skulpturen anstreicht und zum eigentlichen Kunstwerk erhebt. In Bremen hat er sich mit dem Neubau der angrenzenden Seniorenwohnanlage befaßt, die zu einem frühen Zeitpunkt wie ein Rattenlabyrinth wirkte. Bauholz, gebogene Zollstöcke und lauter konzeptuelle Gedanken verbindet er in diesem wie in vielen anderen Fällen zu „Hommagen“. In Bremen feiert er „das von Arbeitern geschaffene Werk“. Eine ganz typische Arbeit, hier nicht gezeigt, ist seine „Hommage to Nam June Paik's Hommage to Stanley Brouwn“ — hier wird das Selbstreferentielle der Kunst einmal ganz offen ausgesprochen. Übrigens trägt sich Lorenz die bleibenden Werte lieber im Kopf davon; seine Arbeiten werden nach Ausstellungsende von der Wand gekratzt und zerlegt, um evtl. anderswo neuen Zwecken zu dienen. Bus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen