: Neue Knäste um jeden Preis Von Andrea Böhm
Die Rüstungsindustrie stöhnt unter den Etatkürzungen des Pentagon, die Möbel- und Textilfabriken haben sich nach Mexiko verabschiedet, Vater Staat selbst schlidderte letztes Jahr haarscharf am Bankrott vorbei. Nur eine Branche bleibt von Krisengefühlen völlig unberührt: Die Unternehmen der Bauindustrie – vorausgesetzt, sie haben sich auf die Konstruktion von Gefängnissen spezialisiert. Den Bau von Haftanstalten hat sich Kalifornien in den den letzten zehn Jahren über fünf Milliarden Dollar kosten lassen, neun nagelneue Knäste entstanden allein in den letzten fünf Jahren. Neun weitere sind geplant. Kostenpunkt jeweils mehrere hundert Millionen Dollar. Wer will, kann jetzt ausrechnen, wieviel Gutes man mit diesem Geld hätte anrichten können: Schulkinder speisen, Bürgersteige absenken, U-Bahn-Linien verlängern oder sogar den St.- Andreas-Graben stopfen.
In diesem Fall ist das Rechenspiel überflüssig, weil sich die Schwachsinnigkeit dieser Investition auch so offenbart: Der Staat Kalifornien hat zwar Gefängnisse, 23 an der Zahl, aber kaum mehr Geld, um Leute einzusperren. Nun arbeiten Vollzugsbeamte bekanntlich nicht ehrenamtlich, und das Konzept der reinen Insassenselbstverwaltung hat sich immer noch nicht durchgesetzt. Ergo stehen nun zwei der neuesten Knäste leer – Bauruinen im Wert von 400 Millionen Dollar.
Glaube keiner, daß die Abgeordneten des kalifornischen Parlaments sowie der Gouverneur Pete Wilson angesichts dieser Schildbürger-Planung reumütig das errötete Haupt senken. Im Gegenteil: Der Bau von drei weiteren Haftanstalten wurde soeben verabschiedet. Weil die Staatskasse ebenso leer ist wie die bereits erwähnten Gefängnisse, werden die neuen Knäste mit Anleihen finanziert.
Anderswo sind die Haftanstalten dafür überfüllt, was einen nicht weiter verwundern muß, nachdem das Justizministerium für das Jahr 1992 neue Rekorde meldet: Die Zahl der US-Bürger hinter Gittern ist auf knapp 900.000 gestiegen. Doch besorgniserregend findet man in der Öffentlichkeit nur, daß die Inhaftierung eines jeden Insassen pro Jahr rund 25.000 Dollar kostet.
In South Carolina haben nun zwei Abgeordnete eine Lösung gefunden, wie man zumindest zur Finanzierung des Jugendstrafvollzugs Geld vom Bürger eintreiben kann, ohne die Steuern zu erhöhen: Die Eltern inhaftierter Teenager werden für die Verpflegung und Versorgung ihrer Sprößlinge zur Kasse gebeten. Das kann teuer werden – der Tagessatz im US-Jugendknast beträgt zwischen 30 und 130 Dollar. Die beiden Politiker meinen, bei solch drakonischen Strafzetteln für Fehltritte der Söhne und Töchter würden Eltern in Zukunft besser darauf achten, daß ihre Kinder keine Autos klauen, keine Revolver in die Schule nehmen und dem Dealer an der Ecke die kalte Schulter zeigen. Zugegeben: Über die Ursachen von Jugendkriminalität hat es schon anspruchsvollere Ausführungen gegeben. Aber in diesen Zeiten, in denen einem dreizehn- und vierzehnjährige eine Höllenangst einjagen können, darf man ungestraft jeden Stuß von sich geben – oder zur Wiederbelebung der Baubranche Gefängnisse in die Landschaft stellen.
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