Erst verbrannt, dann verbannt

Berliner Gedenkveranstaltung zur Bücherverbrennung vor 60 Jahren / „Exil-PEN“ sagte Teilnahme an Darmstädter PEN-Jahrestagung zu Ehren der verbannten Autoren ab  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Am späten Abend des 10. Mai 1933 drängten sich zwischen Berliner Staatsoper und Universität Tausende von Menschen. In der Mitte des Fridericianums stand ein Podium mit Hakenkreuzfahnen, dahinter Dutzende von Aufnahmewagen und Kameras. Das meterhohe Feuer wurde so heiß, daß die Umstehenden zurückweichen mußten. Aber niemand brauchte auf das Spektakel zu verzichten, Studenten verkauften sogenannte Grabenspiegel, mit denen das Feuer über die Köpfe hinweg zu beobachten war. Prominentester Redner war Joseph Goebbels. Politische Revolutionen müssen geistig vorbereitet werden, schrie er in den Wald von Mikrophonen, und „Unwerte“ seien niederzureißen. Laut schallte das „Sieg-Heil“ über den Platz, und mit jedem Ruf wurde ein neues Buch in die Flammen geworfen, ein neuer Autor gebrandmarkt. Anna Seghers, Stefan Zweig, Alfred Döblin, Erich Kästner, Erich Maria Remarque, Leon Feuchtwanger, Joseph Roth und viele, viele andere, natürlich auch Heinrich Heine. 25.000 Bücher fraß der Scheiterhaufen, alleine 10.000 stammten aus dem geschlossenen Institut für Sexualforschung von Magnus Hirschfeld. Die Akteure dieser schaurig-symbolischen Inszenierung waren Studenten, Bibliothekare, Lehrer, Professoren und Mitglieder des „Kampfbundes für Deutsche Kultur“, die „Provinznutten der Literatur“, wie Kurt Tucholsky sieben Tage später an Walter Hasenclever schrieb.

60 Jahre später steht wieder ein Podium auf der Mitte des Fridericianums, auch diesmal umringt von Fotografen. Aber jetzt wärmt die heiße Sonne die Menschen und statt Tausenden sind nur einige hundert gekommen, um die verbrannten Dichter zu ehren.Ihre Namen haben Bibliothekare, Schriftsteller in der IG-Medien und Mitglieder der noch getrennten Autorenverbände Ost- und West-PEN auf Pappschilder geschrieben und an die Umstehenden verteilt. Vor dem Podium steht eine Tafel, zu lesen sind die Worte von Arnold Zweig: „Die Drohung, mit der die Fackel in den Bücherstapel fliegt, gilt nicht dem Juden Freud, Marx oder Einstein, sie gilt der europäischen Kultur.“ Nacheinander klettern 20 deutsche Autoren auf die Bühne und lesen selbst ausgesuchte Texte, die 60 Jahre zuvor das Feuer nährten. Stefan Heym zitiert aus dem 1938 aufgelegten Band „Verse der Emigration“, Gedichte die ins Ausland getriebene Schriftsteller im ersten Jahr nach der Bücherverbrennung schrieben. „Deutschland, bleiche Mutter“ von Bert Brecht gehört dazu, aber auch das eigene Gedicht „Deutsche Legende“. Jurek Becker zitiert Joseph Roths Antwort auf eine Umfrage des Pariser Tageblattes von 1934, ob Schriftsteller Partei ergreifen sollen. Ja, es sei ihre Pflicht, lautete damals die Antwort, und Miriam Sigal Walther ergänzt dies durch Stefan Zweigs schon 1918 geschriebene Betrachtung über den „Weltfeind- Opportunismus“. Und um zu zeigen, wie gering die Spanne zwischen damals und heute und wie aktuell Zensur und Verfolgung sind, liest der Berliner Kultursenator Ulrich Roloff-Momin Sätze aus einer Rede Salman Rushdies, die dieser tausend Tage nach Erhalt der Morddrohung in New York gehalten hat.

Diese Lesung der erst symbolisch verbrannten, dann verbannten Schriftsteller wird sich ab Donnerstag in Darmstadt wiederholen. Der Autorenverband PEN bittet zur Jahrestagung, die diesmal den Schriftstellern gewidmet ist, die nach der Bücherverbrennung ins Exil flohen. Die Tagung steht allerdings unter einem unglücklichen Stern. Denn abgesagt hat die Londoner Sektion „Exil-PEN“. In einem in der Frankfurter Allgemeinen zitierten Brief des Londoner Präsidenten Fritz Beer an seinen deutschen Kollegen Gerd Heidenreich heißt es, daß die etwa 40 heute noch in London lebenden Mitglieder „sehr bestürzt“ darüber seien, daß sie nicht nach Darmstadt gebeten wurden um ihre Texte zu lesen. In der Einladung des PEN sei nicht einmal die Existenz des Exil-PEN-Clubs erwähnt worden. Die FAZ heizte den Streit an, indem sie diesen Vorfall mit der Behauptung anreicherte, daß die „ostdeutschen Funktionäre auf die Nichtteilnahme der auf Vergangenheitsbewältigung pochenden Exilanten gedrängt haben“. Gerhard Schoenberner, Vizepräsident des West-PEN hält dies für eine „absurde Lüge“. Niemals sei der Exil-PEN ausgeladen worden, sondern die – in der Tat nicht abgestimmte – Konzeption der Tagung sei, daß „ausschließlich junge, in Deutschland lebende“ Autoren sich auf 1933 beziehende Texte vortragen. Dies sei überhaupt nicht auf Drängen der Ost-Kollegen geschehen, die Tagung sei nur vom West-PEN gestaltet worden. Sogar die Vereinigungsgespräche des gemeinsamen „Koordinierungsausschusses“ stockten, weil man Differenzen über Stasi-belastete Ost-Schriftsteller habe. Aber „sehr betrüblich“ sei die Angelegenheit schon, kommentierte Schoenberner die Absage aus London.