„Jetzt muß Schluß sein mit dem Diktat“

■ Norwegens Walfänger wissen ihre Regierung hinter sich, wenn sie trotz interna- tionaler aber auch nationaler Proteste erstmals seit 1986 wieder auf die Jagd gehen

„Als Mörder, Tierquäler und Barbaren stellen die Medien uns dar. Aber was sollen wir machen, wir können doch nicht anfangen, den Felsen aufzufressen!“ Für Leif Andersen ist der Walfang eine reine ökonomische Notwendigkeit: „Wir müssen von dem leben, was das Meer uns gibt, und das Meer gibt uns im Sommer eben die Wale. So war das schon immer. Warum soll das plötzlich nicht mehr erlaubt sein?“ Mit Naturschutzargumenten braucht man dem Fischer im nordnorwegischen Skrova gar nicht erst zu kommen: „Die von Greenpeace sind schuld, daß wir seit 1986 nicht mehr auf Walfang dürfen. Jetzt muß Schluß sein mit dem Diktat.“

Auch von Zahlen will Andersen gerade jetzt lieber nichts hören. Zwar mag für die Fischer in Skrova, Reine und drei Orte auf den Lofoten der Walfang ein wichtiges Zubrot sein, wenn im Sommer die Jagd auf andere Fischsorten nicht lohnt; Walfleisch, das frühere Armeleuteessen, ist zur Delikatesse geworden, umgerechnet 30 Mark kostet ein Kilo, und den Besitzern der insgesamt 43 Boote, die sich an der Jagd beteiligen, winkt reiche Beute. Für Norwegens Fischwirtschaft jedoch ist der Walfang mit einem Prozent Anteil kein so bedeutender Faktor, geschweige denn für die Wirtschaft als ganze. Gerade mal 40 Millionen Kronen (10 Mill. Mark) trägt der Walfang bei – fast so viel gibt Oslo dieses Jahr für PR-Bemühungen aus, die Waljagd der internationalen Öffentlichkeit gegenüber zu legitimieren.

Der Bestand der Zwergwale im Nordatlantik (ca. 90.000) soll sich angeblich in den letzten sieben Jahren so erholt haben, daß eine kommerzielle Jagd jetzt wieder möglich sei – so die Argumentation der norwegischen Regierung, die sich damit gegen die Beschlüsse der IWC stellt und den Walfängern erlaubt, ab Ende Mai 600 bis 800 Zwergwale zu harpunieren. Der Versuch, Norwegen vor Beginn der diesjährigen IWC-Jahrestagung doch noch zu einem Verzicht auf diesen Verstoß gegen bindende Beschlüsse zu drängen, schlug fehl. Die sozialdemokratische Regierung in Oslo meint offenbar, bei Wahl- und Fischervolk Standfestigkeit demonstrieren zu müssen angesichts der im Herbst anstehenden Parlamentswahlen und der Volksabstimmung über einen Beitritt zur EG.

Für die künftigen EG-Partner nur schwer verdaulich

Zwar sind sich die EG-Juristen noch nicht einig, ob der Walfang gegen das Verbot der Jagd auf bedrohte Tierarten verstößt. Doch klar ist, daß gerade jenen EG-Mitgliedern, die einem norwegischen Beitritt aufgeschlossenen gegenüberstehen – wie Holland, Dänemark und Deutschland –, das sture Festhalten Oslos an seiner Linie schwer im Magen liegt. Der EG- Botschafter in Oslo, Rhys Hughes: „In Brüssel gibt es keinerlei Verständnis und keine Veranlassung, etwas gutzuheißen, was sachlich betrachtet für Norwegen absolut keine ökonomische Bedeutung hat.“

Die demonstrierte Entschlossenheit könnte der Regierung in Oslo empfindlich an den Geldbeutel gehen. Denn sobald die ersten Bilder das Meer blutrot färbender und qualvoll verendender Wale über die Bildschirme gehen, kann Norwegens Exportwirtschaft die Kurzarbeit einführen. Die Botschaften Norwegens im westlichen Ausland bekommen waschkörbeweise Protestbriefe, und Reiseunternehmen klagen über Stornierungen, die ausdrücklich mit dem Walfang begründet werden. Mehrere große Handelskonzerne und Fast-Food-Ketten in den USA, Großbritannien und Deutschland haben norwegischen Fisch aus den Regalen und Gummibrötchen genommen oder drohen, dies zu tun.

Den Schlafsackhersteller Ajungilak trafen die Boykottdrohungen so massiv, daß sich die Firmenleitung zu einem offenen Brief ans Außenministerium entschloß: „Es ist völlig unsinnig, die insgesamt 40 Millionen Kronen auf Skrova höher einzustufen als die weit größere Wertschöpfung in Betrieben wie dem unseren. Wir wollen gar nicht entscheiden, ob es richtig oder falsch ist, Wale zu jagen. Aber wir sind schockiert, daß unsere Regierung dafür so viel aufs Spiel setzt.“ Ajungilak steht ganz oben auf der Liste von Produkten, die von Umweltschützern möglicherweise boykottiert werden. Direktor Richard Fuglesang: „Die Käufer unserer Produkte sind meist junge Leute, die sich für Naturschutz interessieren und gegen Walfang sind. Wir müssen das Schlimmste befürchten, wiewohl wir doch nichts dafür können.“

Boykottaufrufe im Vorfeld der Olympischen Spiele 1994 in Lillehammer oder mögliche Protestaktionen von Umweltschutzorganisationen vor einem millionenstarken TV-Publikum während der Spiele schließlich sind alles andere als die von Oslo erhoffte positive Werbung für das Land und die Produkte seiner Wirtschaft. Reinhard Wolff