Sanssouci
: Vorschlag

■ Harvey Keitel Katholizismus-Trilogie im Checkpoint

Nächte, Autofahren gegen die Langeweile, Radio bis zum Anschlag aufdrehen, abgestandene Drinks in Bars und Clubs, Mädchen aufreißen, fucking you, bullshit. Tage, warten auf den großen Deal, herumhängen, Tage und Nächte weit entfernt vom Heart Of The World (Nik Cohen): Lower East Side, Downtown, New York, Little Italy, kleines, heruntergekommenes, schmutziges, chaotisches Italien. In den heruntergekommenen, abseitigen mean streets bricht sich hysterische Gewalttätigkeit ihre Bahn, 1910, 1968, jetzt. Die Gods-Own-Country-Philosophie macht vor den Toren Little Italys halt. Niemand entkommt drinnen den Heiligen Familien und der rigorosen katholischen Moral. Unterm düsteren Kruzifix wird Sex und Liebe zum Unaussprechlichen für die jungen Männer im inner circle. Die Frau, das ist das Girl, das mit intaktem Hymen in die Ehe kommt, das andere tut man(n) mit broads, Mädchen für den schnellen Spaß. Schuldgefühle gibt es da wegen nichts.

Martin Scorsese, Filmregisseur und 1942 auf Long Island geboren, ist dort aufgewachsen. Um zu überleben, begann er, aus seiner „Haßliebe zu Little Italy“ Kino, seinen einen Film zu machen, den aber mit „unerbittlicher Ehrlichkeit“, wie er einmal bekannte: Schuld und Sühne, Sex und die Liebe zu John Fords „The Searchers“ und Howard Hawks „Rio Bravo“, jeweils mit dem mythischen John Wayne. Die erste Klappe bei Scorsese fällt mit „Who's That Knocking At My Door?“ und – Harvey Keitel. Ganze 40.000 Dollar kostete der Film, als er nach vier Jahren Herstellungszeit (wegen zahlloser Unterbrechungen) 1968 in New York Premiere hat.

Harvey Keitel, Scorseses Protagonist J.R. und Alter ego Charlie in „Mean Streets“ (1973), hat einen langen Weg zurückgelegt bis zum namenlosen „Bad Lieutenant“ in Abel Ferraras apokalyptischem Cop-Drama. Zu einem hippen Star wie Jack Nicholsen oder Robert de Niro hat es der drahtige Strasberg-Schüler in seinen über vierzig Filmen nie gebracht. Am Anfang standen jedoch J.R. und Charlie, dem nach J.R.'s Liebesdesaster nur noch seine Loyalität zum selbstverliebten Johnny Boy/Robert de Niro bleibt. Der nutzt ihn schamlos aus. Charlies Gier nach Zuneigung und Anerkennung stürzt ihn in einen lebensgefährlichen Konflikt mit der ehrenwerten Gesellschaft. Zukunft haben weder J.R. noch Charlie. Wir sehen, wie sie sich bewegen, ohne je vorwärts zu kommen. Sie leben in between positions, ohne eigentliche Beschäftigung, trudeln zwischen Katholizismus und den Versuchungen neuer Zeiten. Getrieben, umkreist von einer manischen Kamera, die nicht abläßt, ihr Objektiv auf ihre Haut zu kleben. „See you tomorrow“, sagt J.R. nachts an einer Straßenecke zu seinem Freund Joey, Schlußszene von „Who's That Knocking...“. Die Kamera beobachtet von weit oben, einen Ausweg aus der Malaise gibt es nicht: Das Mädchen, das er „trotzdem“ heiraten wollte, obwohl er nicht der Erste war, hat ihn aus ihrem Appartement herausgeschmissen. J.R. geht nach Hause, in die Kirche. Schuld und Sühne, gebenedeit sei die Madonna auf der Wohnzimmeranrichte. Yvonne Rehhahn

„Who's That Knocking...?“ und „Mean Street“ im Checkpoint.