Pedanterie

„Wir werden tun, was uns gefällt. Einen Bart werden wir uns wachsen lassen.“

Diese Sentenz, mit der die beiden Schreiber Bouvard und Pecouchet sich in den vorzeitigen Ruhestand aufmachen, beschreibt nicht nur den Raum der Freiheit, den sie sich gönnen werden. Er zeigt auch, wie Flaubert komisch war, wenn er es war (nicht immer, aber mit dem Alter immer öfter): lakonisch, böse, kurz. Ein Gefühl für die spezielle Erbärmlichkeit, mit der trotz bewegter Zeiten die Individuen sich auf sich selbst besinnen, die Verachtung für den kleinbürgerlichen Rückzug ins Private (das die französische Revolution kurzfristig verboten hatte), hatte der Bürger Flaubert vom Beginn seiner Laufbahn an – wohl wissend und nur in Augenblicken freundlichen Geniebewußtseins vergessend, daß er kaum besser war als seine Helden.

Denn Flaubert brauchte um sich herum eine größtmögliche Ruhezone, er wollte (und mußte wohl) unbehelligt von Alltagssorgen, von sozialen Beanspruchungen, von einer Ehefrau gar, seinen exzentrischen Pflichten nachgehen: des Nachts zu schreiben zum Beispiel und die geschriebenen Sätze zu brüllen, um ihren Rhythmus zu prüfen. Flaubert war ein pedantischer Autor, er war größten psychischen und physischen Schwankungen ausgesetzt, er konnte und wollte seine Idiosynkrasien nicht zähmen, er wollte und mußte sozial weitestgehend unbehelligt bleiben, er war ungnädig mit sich und allen anderen, er war unduldsam, cholerisch, wenig berechenbar, ungeschliffen, auf sich, also: sein Werk bedacht. Er war in hohem Maße einsam, und er war es – in der zweiten Hälfte seines Lebens – durchaus auf eigene Rechnung: Als am 8.März 1876 seine ehemalige Geliebte Louise Colet starb, schrieb er an eine Bekannte einen trauernden Brief. „Ich habe“, heißt es darin, „so viele Dinge mit Füßen getreten, um leben zu können.“

Louise Colet war eine erfolgreiche Autorin im eher trivialen Genre mit Wohnsitz in Paris: eine schöne Frau, den Beschreibungen nach, außerdem selbstbewußt, geistvoll und keineswegs ohne Temperament. In der Tapferkeit, mit der sie sich durchs Leben schlug, aber auch in der verspielten Berechnung, die vielen Handlungen der Mittelarmen notwendig zugrunde lag, gleicht sie eher der leichtlebigen und leicht genommenen Rosanette aus „L'education sentimentale“ als der verehrten Madame Arnoux – sie wird die „Erziehung des Herzens“ mit ensprechend bitteren Gefühlen gelesen haben. Denn Frédéric, die Hauptfigur dieses Bildungsromans, dem in vielfacher Hinsicht Flaubert zu ähneln schien, hört niemals auf, von Madame Arnoux zu träumen. Flaubert macht das zynisch und lakonisch deutlich: In der ersten Liebesnacht wacht Rosanette von seinem Schluchzen auf. „,Was hast du denn, mein Liebling?‘ ,Es ist das Übermaß des Glückes‘, sagte Frédéric, ,ich habe mich so lange nach dir sehnen müssen.‘“

1854, als er sich von Louise trennte, war der Schriftsteller einunddreißig, keineswegs auf der Höhe seines Ruhmes, aber schon seit Jahren so ausschließlich mit dem Schreiben beschäftigt, daß er seine Arbeit zur Tyrannin seines Lebens erklären durfte, „einsam wie ein Eremit und gelassen wie ein Gott“. Louise war die einzige Frau in Flauberts Leben, bei der die Heftigkeit seiner Gefühle (auf die er in der Selbstbeschreibung Wert legte) einen realen Widerpart fand; einen Widerpart zudem, der auf Verwirklichung drängte: Louise sprach von Geld, sie wollte mit Flaubert mehr und regelmäßiger Zeit verbringen, sie stellte eine wachsende Bedrohung für den normannischen Einsiedler dar, der mit Mutter und Nichte auf dem Lande leben sollte bis zum Tod, seinen Obsessionen hingegeben und bewacht von ihnen sowie, fast bis zum Schluß, von diesen Frauen. Die Bindungen, die er nach Louise an weibliche Personen noch einging – eine langjährige Affaire unter anderen mit der englischen Hauslehrerin seiner Nichte, die platonische Freundschaft mit George Sand – waren klarer definiert, damit unbedrohlich und stabiler.

Nicht einmal die ferner werdende Sehnsucht nach dem Vorbild der Mme. Arnoux, Elisa Schlesinger, vermochte ihn noch aus seiner selbstgewählten Beruhigung zu bringen: Ein letztes Treffen mit der Witwe kam nicht zustande, weil er sich nicht von seinem Wohnort begeben wollte, um sie zu sehen.

Die im vergangenen Jahr übersetzte Biographie von Herbert Lottmann, schlicht „Flaubert“ betitelt, vermittelt das Bild eines Mannes, der über sich dazugelernt hat. Sie vermittelt es nur – denn sie beläßt es bei Andeutungen, wo Thesen möglich wären, und sie hält inne, wo es interessant werden könnte. Im Prolog zum Buch, dem souveränsten Teil des ganzen Textes, grenzt Lottmann sich deutlich von Sartres Flaubert-Studie ab, der auf Recherchen großzügig verzichtet hat, um das Bild des Autors vom Autor zu beweisen: Lottmann will nichts behaupten, was er nicht direkt belegen kann.

Und diese äußerste Redlichkeit ist auch die Schwäche seines Buches. Gleich einem Bankbeamten, der unermüdlich kleine Münzen in Scheine und Scheine in Münzen wechselt, ohne die Summen zu verfälschen, präsentiert Lottmann uns zu jedem Satz den Beleg per Zitat, und die Erkenntnis wird dadurch weder gemindert noch vermehrt. Wir erfahren mit größerer Genauigkeit, als uns lieb sein könnte, von jedem Ortswechsel Flauberts, von jeder Reise, von seiner Wohnungseinrichtung, von seinen Freunden, von seinen Finanzaktionen, von seinen Verhandlungen mit seinem Verleger. Aber wir erfahren fast nichts über die Person, was die Montage von Eigen- und Fremdzitaten (der Goncourts, der Freunde Du Camp, Bouilhet, Sand etalii) nicht schon von selbst ergäbe. Die Klugheit Lottmanns, die sich im Prolog des Buches präsentiert, seine Urteilsfähigkeit, sein Einfühlungsvermögen: all dies verschwindet fast unter dem Fleiß, mit dem er seine Recherchen (und die sicher nur im Ausschnitt) präsentiert – und wird zusätzlich geschmälert durch eine Übersetzung, der des öfteren die Zwischentöne entgleiten.

Das Buch besteht aus einer Fülle von Material, das seinen Finder nahezu zur Strecke gebracht hat; es zu lesen ist damit noch immer ein Gewinn für jeden Flaubert-Fanatiker, aber eben auch wenig mehr: Der Verzicht auf Erzählung, auf eine plastische Einführung der wichtigsten Personen, auf eine Andeutung der Lebenswelt ist nur für den zu kompensieren, der schon vieles weiß. Wir erahnen einen Autor, der mühsam mit sich zu leben gelernt hat und der seinen Frieden damit machen konnte, daß seine Neurosen und seine Kreativität so miteinander verklebt waren, daß die Opferung des einen auch die Preisgabe des anderen bedeutet hätte. „Glücklich sind die, die nicht vom Wahn der Perfektion geschlagen sind“, schrieb Flaubert, der Hunderte von Büchern las, um „L'education sentimentale“ zu schreiben und oft Tage nach einer Formulierung suchte. „Ich erkenne durchaus das Nutzlose daran, aber ich kann mich nicht davon freimachen.“

„Das Glück in jenem beschränktem Maße, in dem es dem Menschen erfahrbar ist“ , heißt es bei Freud, „ist eine Frage der individuellen Libidoökonomie.“

Herbert Lottmann: „Flaubert. Eine Biographie“. Aus dem Amerikanischen von Joachim Schultz,

Insel Verlag, 516 Seiten, mit Register, gebunden, 49,80 DM