Der Romantiker

Abel Ferrara dreht Filme über die Erlösung vom Hardcore dieser Welt. Mit ihm sprach  ■ Hella Körnich

„Der amerikanische Regisseur Abel Ferrara, Fachmann auf dem Gebiet des Kugelhagels, liefert Durchsieb-Arbeiten nur in Topqualität.“ So stand es vor zwei Jahren in der taz, als Ferrara in „King of New York“ Christoper Walken durch ein Meer von Drogen und Blut waten ließ, um ein vom Bankrott bedrohtes Waisenhaus zu retten. In Ferraras Filmen muß der Held stets klaftertief sinken, bis er seine religiösen Gefühle entdeckt. In seinem neuesten Film: „Bad Lieutenant“ (siehe Kritik auf der Seite 14) schubst eine vergewaltigte Nonne einen maroden Cop auf den Weg zur Erlösung. Hier nun Ferraras authentische Worte über Drogen, Blut und Katholizismus.

taz: Verarbeiten Sie eigene religiöse Erfahrungen in dem Film?

Ferrara: Naja, ich bin Italoamerikaner, katholisch erzogen. Vom ersten Schrei als Baby bis zum Religionsunterricht in der Schule, wo dir erzählt wird, daß Gott die Bäume erschaffen hat. Diese Jahre prägen, das kriegt man nicht mehr raus. Ich bin immer noch ein religiöser Mensch, und Gott spielt eine große Rolle in meinem Leben. Ich versuche, christlich zu handeln, aber das klappt nicht immer. Und Harvey Keitel, der in „Last Temptation of Jesus“ den Judas spielte, und Zoe Lund haben tiefe religiöse Gefühle – nicht unbedingt katholisch. Aber entscheidend für den Film war Harvey Keitel, dessen Religionsempfinden die Rolle prägte. Das hat nicht unbedingt etwas mit meiner Einstellung zu tun.

Verkörpert der Lieutenant die alte Geschichte von Schuld und Sühne?

Was ist sein Katholizismus, bis es zum Zusammenbruch kommt? Nichts. Vielleicht hat er schon lange unter der Oberfläche geschlummert. Aber der Lieutenant muß erst ganz tief sinken, ehe er religiöse Gefühle entdeckt. Er mußte erst dem Tod begegnen, seinem Spiegel. Dem Typen ist zunächst alles egal. Ob er um acht Uhr morgens Wodka trinkt, ob er Tote beklaut – das spielt keine Rolle für ihn. Er ist fertig. Er scheißt drauf. Doch unter Umständen ist er ein romantischer Charakter. Religion hat er verdrängt, er meint das Leben zu kennen und will sich nicht belehren lassen. Er will einfach nicht religiös sein. Er ist ein Killer. Ein Typ, wie ihn der Rapper Schooly D beschreibt: „Don't come to me teachin' and preachin', 'cause a nigga like me you're not reachin', 'cause all I care is sellin' my ayer and makin' money like a nigga makes mayor.“ So ist die Wirklichkeit. Das ist Streetknowledge.

Was fasziniert Sie so sehr an diesem Charakter?

Ich hatte diese Eingebung. Ich wollte einen „Bad Lieutenant“. Er ist Cop und Gangster gleichzeitig. Er fährt nicht auf Streife mit seinen Kollegen. Er ist ein Wichser. Er ist das Opfer seines eigenen Egos. Er ist auf einem ekelhaften Egotrip. Er ist ein Süchtiger, süchtig nach Drogen, süchtig nach Frauen, süchtig nach Alkohol, Sex, Wetten. Er ist besessen.

Sein einziges Ideal ist die Nonne. Sie löst in ihm wieder Gefühle aus. Zum Schluß des Films läßt er die Vergewaltiger auf ihren Wunsch laufen. Bewundert er sie für die Kraft ihrer Liebe? Oder ist es nur ein neuer Egotrip?

Gute Frage, ich habe sie selbt nicht klären können. Vielleicht haben Sie Recht. Er fragt sie, wie sie diese Tat vergeben konnte, und faßt es nicht, wie sie es schafft. Er verzweifelt. Selbst in der Szene, in der er in der Kirche betet und seine Vision empfängt, weiß ich nicht, ob er ehrlich mit sich selbst ist.

Haben Sie selbst schon eine ähnlich starke religiöse Erfahrung gemacht?

Nein (lacht), aber ich kenne Menschen, die etwas Derartiges erlebt haben. Ich glaube, daß es passieren kann, sogar hier. Es ist so leicht, schlechte Gedanken zu haben, sich korrumpieren zu lassen. Aber ich glaube an eine höhere Macht, die das Leben definiert. Es ist ein ewiger Kampf, gut zu sein, ein harter, langer Weg.

Sie arbeiten mit einer speziellen Ästhetik der Gewalt. Sind diese Bilder für Sie notwendig, um die Welt zu beschreiben? Glauben Sie, daß Sie damit die Zuschauer aufrütteln können?

Ich mache diese Filme nicht für die Zuschauer, sondern für mich. Ich bin von diesen Bildern besessen. Ich halte die Kamera drauf. Ich gehe zum Set und drehe diese Geschichten.

Der Film erinnert mich an Comics von Frank Miller. Da spielt Religion eine große Rolle, Nonnen tauchen auf, verbunden mit Erotik. Haben Sie Miller gelesen?

Nein, leider nicht. Das muß ich nachholen. Aber ich glaube an eine kulturelle Verbindung der Einflüsse. Wir hören die gleichen Nachrichten, hören die gleiche Musik, essen die gleiche Nahrung.

In Ihrem Film tauchen auch Martin-Scorsese-Aspekte auf: der alles fressende Moloch Großstadt à la „Taxi Driver“ und andere. Zählt Scorsese zu Ihren Vorbildern?

Ich hoffe, daß er mich beeinflußt hat. Auch Harvey Keitel verkörpert für mich Aspekte von Scorsese.

Sie verehren Pasolini? Was schätzen Sie an seinem Werk?

Oh, der Typ sprengt jede moralische Grenze. Er machte, was er wollte. Ich empfinde ihn als furchtbar und faszinierend zugleich. In „Sodom“ läßt er im Studio vierzehnjährge Knaben von schwulen Sadisten auspeitschen. Er geht so weit, daß es wehtut. Er ist ein Typ, den ich zu kennen glaube. Ich sehe einen Film und denke, ich war mit ihm in einem Raum.

Zum „Bad Lieutenant“ hat Sie eine Zeitungsmeldung inspiriert...

Ja, aber in Wirklichkeit ist die Nonne aus der Kirche ausgetreten. Es hat ihre Beziehung zum Glauben komplett zerstört.

Haben Sie mit ihr gesprochen?

Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte diese Erinnerung nicht in ihr wecken.

Wie recherchierten Sie für diesen Film?

Ich redete mit den Polizisten, die an dem Fall beteiligt waren. Ich wußte, was sich abgespielt hatte. Dieser Polizist, der den Vergewaltiger der Nonne verhaftet hat, spielt auch im Film mit. Das ist der Typ mit dem Schnauzbart, der auf dem Parkplatz auftaucht. Der erzählte mir die Story, wie zum Beispiel die Cops in alle Himmelsrichtungen ausschwärmten, um das Verbrechen zu klären. Wissen Sie, das hat sich in einem spanisch-italienischen Viertel abgespielt. Die Cops hätten den Typen am liebsten gekillt.

Mit Zoe Lund haben Sie schon früher zusammengearbeitet. In „Bad Lieutenant“ ist sie am Buch beteiligt, spielt die Rolle der Junkie-Frau. Was für eine Beziehung haben Sie zueinander?

Zoe war lange Zeit im Ausland. Und sie ist trotzdem immer da. Sie ist unglaublich. Sie ist Schauspielerin, Autorin, sie ist wie ein Anker. Ich hatte die Idee fürs Drehbuch, die Charaktere, die Handlung.

Sie verkörpert den Junkie unglaublich realistisch; hat sie Drogenerfahrung?

Ja. Für sie sind Drogen kein Problem. Das ist ihre Sache. Man könnte ein Problem daraus machen, aber das will ich nicht.

Wie ist Ihre Einstellung zu Rauschgift?

In den USA ist das eine schwer politische Angelegenheit, weil es überall Drogen gibt. Die L.A.- Cops versuchen, Drogen von der Straßen zu kriegen. Und gleichzeitig gibt es eine Menge Leute, die Kokain rauchen. Das kann dich fertigmachen – wenn du dich davon fertig machen läßt. Soll man deswegen einen Polizeistaat schaffen? Soll man das legalisieren? In manchen Vierteln sind Drogen der einzig funktionierende Wirtschaftszweig. Wenn sie legalisiert würden, ginge das ganze Geld an die Regierung. Da sind mir die Brothers lieber, die daran verdienen. Wenn ich mir vorstelle, daß die Kennedys ihr Geld mit Alkohol verdient haben...

Wie arbeiten Sie mit Ihren Schauspielern?

Ich lasse ihnen Platz, ihre Persönlichkeit zu entfalten. Ich sehe sie als gleichberechtigte Partner. Christopher Walken zum Beispiel. Oder Meg Tilly. Es ist eine Sache von Geben und Nehmen. Es ist Energie. Harveys Stil deckt sich mit seiner Persönlichkeit. Ich meine, ich liebe sie, ich vertraue ihnen. Harvey hat eine Rock-'n'-Roll- Persönlichkeit. Er ist so wie ich, geistig völlig abgefuckt.

Jetzt haben Sie Ed Pressman als Produzenten. Haben Sie keine Angst vorm großen Geld, das Ihnen die künstlerische Freiheit abschneiden könnte?

Nein, ich bin größer und stärker als die. Ich kenne sie noch aus einer Zeit, als sie ein Niemand waren. Wer kümmert sich um die Produzenten? Der Regisseur ist der Star.

Ihre Filme stehen für die Schattenseiten der USA, für extreme Situationen in einem verrotteten System.

Was in Amerika abgeht, ist Sozialdarwinismus. Es begann damit, daß Manhattan für 25 Dollar gekauft wurde. Unter dem Aspekt der Waffen – die Eroberer hatten Waffen und wollten sie auch benutzen. So wie Christoph Kolumbus und all diese verdammten Helden. Und seitdem sieht jeder nur sich selbst. Das ist Kapitalimus, Demokratie. Der Kommunismus hat versagt, und das mit jeder Menge Blutvergießen. Jugoslawien wird nur der Anfang sein. Der Kapitalismus könnte natürlich auch versagen. Sieh dir Los Angeles an. Da laufen Tausende von „Bad Lieutenants“ herum, bewaffnet, und ihnen ist alles scheißegal. Egal, ob sie leben oder sterben. Sie haben nichts zu verlieren. Und wer sich ihnen in den Weg stellt, wird abgeknallt.

Die Manipulation durch die Medien nimmt ein bedrohliches Ausmaß an, nicht nur in Amerika. Die Scheinwelt überlagert die eigene Wahrnehmung. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Richtig, in den USA sind die Medien die größte weiße rassistische Scheiße, die ich mir vorstellen kann. Von der New York Times bis CNN ist alles ein kranker Witz. CNN ist Jerry Forwell trifft den Ku-Klux-Klan. Da geht die Straßenrevolution ab, und die Fernsehfritzen sagen: Stoppt die Brände! Los Angeles ist voller unnützer Läden, was soll's, wenn da so ein dämlicher Möbel-Shop abbrennt?