■ Tudjman unterstützt westherzegowinische Extremisten: Kroatische Blindheit
Es überrascht schon etwas, daß der kroatische Präsident Franjo Tudjman sich vorbehaltlos hinter die kroatischen Extremisten der Westherzegowina stellt. Denn mit den Überfällen auf muslimanisch-bosnische Dörfer, mit der Austreibung von Menschen nichtkroatischer Nationalität aus den gemischten Gebieten Zentralbosniens wird ja Schuld auf die kroatische Nation geladen. Auch auf den Staat Kroatien selbst. Bezüglich der Interventionsabsichten der USA gegenüber den Serben in Bosnien sind die Morde der westherzegowinischen Soldateska kontraproduktiv. Aber nur im Windschatten einer solchen Intervention könnten die jetzt von Serben besetzten Gebiete Kroatiens, das ist immerhin ein Drittel des gesamten Territoriums, wiedergewonnen werden.
Tudjman müßte zumindest wissen, daß die Aufteilung Bosniens, die jetzt von seinen westherzegowinischen Parteifreunden Boban und Prlić betrieben wird, langfristig Kroatien nur schaden kann. Denn wenn es Serbien gelänge, die serbisch besetzten Gebiete in Kroatien und in Bosnien ans serbische Mutterland anzugliedern, würde der serbische Druck auf die Küste verstärkt. Erst kürzlich forderte die serbische Seite erneut die Einnahme der Hafenstädte Zadar und Šibenik. Ein geteiltes Kroatien jedoch wäre niemals überlebensfähig. Die Kompensation für den Verlust der Krajina und der Gebiete in Slawonien durch den Anschluß der Westherzegowina an Kroatien stellte sich so bald als ein Pyrrhussieg heraus. Wenn Tudjman sich mit dem Spatz in der Hand begnügte, hätte er in der Tat das langfristige Gesamtinteresse Kroatiens aus dem Auge verloren.
Die Wesensgleichheit der kroatischen Extremisten mit den serbischen Nationalisten drückt sich nicht nur in der Ideologie aus, jeweils ethnisch reine Nationalstaaten aufzubauen. Die Vermutung, daß dem kroatischen Angriff auf die Stellungen der bosnischen Armee, die in „ethnischen Säuberungen“ gemündet sind, konkrete Verhandlungen zwischen Boban und Karadžić vorausgingen, sind nach Meinung der bosnischen Regierung jetzt bestätigt worden. Dies ist auch eine späte Frucht der Verhandlungen zwischen Tudjman und Milošević über die Aufteilung Bosniens vom Frühjahr 1991. Angesichts dieser für Kroatien langfristig abträglichen Strategie müßten nun die demokratische Opposition des Landes und die Gegner der jetzigen Politik in der kroatischen Regierungspartei auf den Plan treten. Geschieht dies nicht, verspielt Kroatien allen politischen Kredit. Erich Rathfelder
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