■ Das erste Veto Rußlands im Weltsicherheitsrat
: Mr.Njet und Mr.Da

Mr.Njet – das war auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges der Spitzname des sowjetischen UNO-Botschafters Jakob Malik und seines Nachfolgers Andrej Gromyko, des Mannes mit der Leichenbittermine. In sowjetischen Augen eine Ehrenbezeichnung, galt sie doch der Blockade des vom amerikanischen Imperialismus dominierten Weltsicherheitsrates. Als sich in den Zeiten der „Stagnation“ das Schwergewicht sowjetischer Politik auf die Abrüstungs- und KSZE- Verhandlungen verlagerte, wurden Verweigerungsgesten vor dem UNO-Forum bedeutungslos. Aber erst mit Gorbatschow kehrte sich der Prozeß um und der sowjetische UNO-Botschafter wurde zum Mr.Da: Ja zur internationalen Konfliktlösung im UNO-Rahmen, Ja zu einer neuen Rolle für den Weltsicherheitsrat. Die sowjetische Politik während des Golfkriegs unterstrich die Wende.

Nach dem Untergang der UdSSR schien sich diese Tendenz noch zu verstärken, die Integration Rußlands in die (von westlichen Werten dominierte) Weltgesellschaft wurde zum Credo. Aber hinter der durchgängigen Linie internationaler Kooperation zeichnete sich bereits 1992 eine neue Großmachtpolitik Rußlands ab. Man hat häufig die schrittweise Distanzierung Rußlands von der westlichen Konfliktlösungs-Agenda als Rücksichtnahme auf den großmachtchauvinisten Flügel in der russischen Politik

interpretiert. Dabei blieb außer Acht, daß das

Denken in den vermeintlichen Konstanten der Geopolitik, daß die Kategorien des „nationalen Inte-

resses“ bis weit in die Kreise der demokratischen Intelligencija Auferstehung feiern. Die russische Serbienpolitik – Unterlaufen der Sanktionen, Verschleppungsstrategie – ist nicht vorrangig Ausdruck einer irrationalen Slawophilie, sondern bezeichnet die Rückkehr zu den traditionellen Kategorien von Einflußsphären, Klientelismus und hegemonialer Vormachtstellung.

Das Veto gegen die obligatorische Finanzierung der UNO-Truppe auf Zypern, die bisher auf freiwilliger Grundlage erfolgte, hat mit dem Zypern-Konflikt wenig, dafür aber um so mehr mit der neuen russischen Außenpolitik zu tun. Das Veto ist eine Geste, die noch daduch unterstrichen wird, daß der russische UNO-Botschafter ihr jede allgemeinere Bedeutung absprach. Mr.Njet wird nicht nach New York zurückkehren – dafür ist die Abhängigkeit Rußlands von westlicher Kapitalhilfe zu groß. Aber die Blütenträume von einer russischen Politik, die auf ein internationales Regime der Konfliktlösung im Rahmen der UNO setzen würde, sind ausgeträumt. Christian Semler