■ Vom drohenden Ende einer Volkspartei
: Kein Grund für Lederhosen-Witze

Wir sind schwer enttäuscht. Früher einmal waren die Grünen für ihr innerparteiliches Chaos berühmt. Gerade hat man sich daran gewöhnt, die SPD als legitimen Nachfolger für Schlammschlachten aller Art betrachten zu müssen. Und jetzt die CSU! Auf wen kann man sich eigentlich noch verlassen? Die tiefe Sehnsucht der Deutschen nach Ordnung und Sicherheit, sie wird von den Christsozialen, die sich immer als legitime Vertreter dieser Sekundärtugenden betrachteten, in der eigenen Partei nicht mehr hochgehalten. Wer mag da noch ihrer Politik glauben? Wir fragen das keineswegs mit Häme, sondern ehrlich erschrocken: Deutschland braucht Bayern, und Bayern braucht die CSU. Diese Partei hat jahrzehntelang dafür gesorgt, daß rechtsradikale Gesinnungstäter nicht zu rechtsradikalen Wählern wurden. Die Hoffnung, daß von ihrem Niedergang Renate Schmidts Sozis oder gar die Grünen profitieren könnten, bleibt äußerst vage. Viel wahrscheinlicher ist, daß die um Sicherheit und Ordnung gebrachten Bürger den „Republikanern“ zulaufen. Denn gescheitert ist die CSU ja eben nicht an ihren rabiaten Vorstellungen vom „starken Staat“, sondern im Gegenteil daran, daß andere ihr dabei den Rang abzulaufen drohen. Freilich, absehbar war der Diadochenkampf schon länger. Mit 1989 ging ein akuter Bedeutungsverlust der bayerischen Lokalpartei einher. Der stete Aufstieg der „Republikaner“ – bei den letzten Landtagswahlen verpaßten sie den Einzug ins Parlament nur knapp – brachte die CSU in arge Nöte. Wenn jetzt ein Drittel aller CSU-Landtagsabgeordneten um ihre Sitze bangen müssen, wenn die Gefahr besteht, daß die Partei bei den Europawahlen 1994 an der Fünfprozenthürde klebenbleibt, wenn gar der Verlust der absoluten Mehrheit im Stammland droht, dann sind das alles gute Gründe für den gewaltigen hausinternen Krach.

Und so besteht heute überhaupt kein Anlaß für Lederhosen-Witze oder Weißwurst-Erzählungen. Zunächst einmal droht auch in Bonn Ungemach: Ob nun Waigel oder Stoiber den ausgezählten Max Streibl in München beerben darf, mag für Menschen, die außerhalb von Bayern leben, weniger von Belang sein. Die damit verbundene Frage, wer demnächst möglicherweise auf dem Stuhl von Bundesinnenminister Seiters in Bonn Platz nehmen darf, treibt dagegen den Angstschweiß auf die Stirn. Edmund Stoiber will nicht, soll aber. Die Vorstellung, daß der CSU-Chefideologe einen der wichtigsten Posten im Kabinett Kohl übernimmt, ist nur schwer erträglich. Wer schon einmal vor einer „durchraßten Gesellschaft“ warnte, erscheint nicht unbedingt sonderlich qualifiziert, um unter anderem für die bundesrepublikanische Ausländerpolitik zuständig zu sein. Waigel, dem konzeptlosen Schuldenminister, werden wir nachtrauern, sollte er nach München umziehen. Was sind schon Steuererhöhungen und Schuldenberge gegen einen Demonteur des Rechtsstaats? Klaus Hillenbrand, nicht München