"Blauhelme behindern Verteidigung"

■ Bosnische Regierung fordert Abzug der UN-Soldaten / Muslimisches Viertel Mostars brennt / UNHCR rechnet mit der Vertreibung von 300.000 Muslimen durch die Kroaten

Wien (taz) – „Vergessen Sie die Tatsachen nicht“, so gestern Bosniens Außenminister Haris Silajdžić über den US-Sender CNN, „die UNO-Truppen sind doch von dem guten Willen der Aggressoren abhängig. Nur wenn die wollen, dürfen sie helfen, in der Zwischenzeit stirbt unser Volk.“ Silajdžić machte den Standpunkt seiner Regierung klar, entweder es gelingt den Blauhelmen, Frieden zu schaffen, oder sie sollen abziehen. „Wir tun das, weil die Sorge um die Sicherheit dieses Personals ein wesentliches Hindernis für die Verteidigung dieser souveränen Nation geworden ist.“ Nach dem Abzug der Blauhelme sei das wesentliche Hindernis für die Aufhebung des Waffenembargos beseitigt.

Den Aggressor benannte Silajdžić nicht. Seine Wortwahl war so gewählt, daß er als Feind die serbischen Freischärler, aber auch die militanten Kroaten in Mostar gemeint haben könnte. Radio Sarajevo wurde gestern dagegen schon deutlicher: Serbenführer Radovan Karadžić und sein ehemals kroatischer Gegenspieler Mate Boban hätten sich darauf verständigt, Bosnien unter sich aufzuteilen und auf dem Schlachtfeld vollendete Tatsachen zu schaffen, bevor der Westen das Waffenembargo gegen die Muslime aufhebt oder militärisch eingreift.

Kemal Muftić, Pressesprecher der bosnischen Regierung, erklärte außerdem, Serben wie Kroaten versuchten ein Eingreifen des Westens mit Gegenschritten zu verhindern. Durch die kroatische Offenisve gegen Muslime in Mostar werde der Eindruck erweckt, in Bosnien seien die Fronten mittlerweile so unklar, daß Nato-Truppen unter UNO-Kommando nicht mehr in der Lage seien, durch militärische Gegengewalt einen dauerhaften Frieden zu erwirken.

Das tatsächliche Ausmaß der Kämpfe zwischen den eigentlich verbündeten kroatischen und muslimischen Truppen machte gestern der Vertreter des UNO-Flüchtlingshilfswerkes in Zagreb zum erstenmal öffentlich: Bis zu 300.000 Muslime, so José-Maria Mendiluce, könnten den Vertreibungen durch die kroatischen Soldaten zum Opfer fallen. So scheint das Ziel der kroatischen Truppen in Mostar zu sein, die Muslime vom Westufer des Neretva-Flusses auf das Ostufer zu vertreiben, das muslimische Viertel Mostars ging in Flammen auf. Und auch zu den 1.000 Menschen, die angeblich in eine Fabrik am Stadtrand evakuiert wurden, gibt es bisher keinen Kontakt.

Seit Tagen schweigt das offizielle Zagreb zu Anschuldigungen des UNPROFOR-Oberkommandierenden für Bosnien, Lars Eric Wahlgren, die kroatische Seite hätte in Mostar „ethnische Säuberungen“ eingeleitet. Die gleichgeschalteten Medien machen dagegen mit Schlagzeilen auf wie: „Muslime setzten Offensive gegen Kroaten fort“. In seitenlangen Reportagen werden muslimische Kämpfer zahlreicher Verbrechen kroatischer Zivilisten bezichtigt, über die Zwangsevakuierung Tausender Muslime wird dagegen kaum ein Wort verloren. Lapidarer Kommentar: „Wir bringen die Menschen nur in Sicherheit.“ Bosniens Präsident Izetbegović forderte unterdessen, daß die Vereinten Nationen auch Mostar unter UN-Schutz stellen sollen.

Bisher sehen die UNO-Blauhelme jedoch nur tatenlos zu, dokumentieren lediglich im Filmdokument, wie sich am Montag eine Gefangenenkarawane in Bewegung setzte. Wo die Muslime mittlerweile festgehalten werden, ist ebenso unbekannt wie auch das Schicksal der von Serben belagerten Stadt Zepa. Dort suchen UN- Soldaten weiterhin rund 35.000 Zivilisten, die in der vergangenen Woche vor den bosnischen Serben in die umliegenden Berge geflüchtet sein sollen. Hatten damals noch Funkamateure aus Zepa berichtet, sind diese seit mehreren Tagen verstummt. Verständlich, daß in Sarajevo bereits Gerüchte über Massenerschießungen in Umlauf sind.

Bezeichnend ist außerdem, daß in kroatischen Medien das Morden in Bosnien nur noch dann „ausgeschlachtet“ wird, wenn es die eigene Seite betrifft. Über Zepa finden sich nur Kleinnotizen. Und auch der kroatische Präsident Franjo Tudjman schweigt bei diesem Thema. Dafür macht er in einem offenen Brief an die Konfliktparteien allein die Muslime für den Ausbruch der Kämpfe verantwortlich.

In einer ersten inoffiziellen Äußerung reagierte die Belgrader Führung mit großer Zurückhaltung auf das EG-Angebot, einige hundert Beobachter an die Grenze zwischen Rest-Jugoslawien und Bosnien zu schicken. Sie sollen nach den Vorstellungen der EG- Außenminister das von Belgrad zugesagte Embargo gegen die Serben in Bosnien überwachen. Die Nachrichtenagentur Tanjug bewertete den EG-Vorschlag als Mißtrauensbeweis und fragte, ob er ohne Zustimmung Belgrads verwirklicht werden solle.

In den serbisch besetzten Gebieten Bosniens läuft die Propaganda-Kampagne für das Referendum über den Vance-Owen-Plan am kommenden Sonntag inzwischen auf Hochtouren. In Talk- Shows kommen ausschließlich Gegner des Friedensplans zu Wort. Eine Absage des Referendums lehnte die „Serbisch-Demokratische Partei“ des bosnischen Serbenchefs Karadžić trotz Aufforderung der Belgrader Führung ab. Karl Gersuny