Wenn Stoiber waigelt, wird gestreiblt

Während unter den CSU-Funktionären die Angst umgeht, freut sich das „andere Bayern“ über die parteiinternen Querelen / Dem Laienspieler Streibl fehlt jede Autorität  ■ Aus München Thomas Pampuch

Wird der 13.Mai 1993 zum „schwarzen Donnerstag“ der CSU? Nicht alle, die sich diese Frage in den letzten Tagen in München stellten, schnitten dabei ein bängliches Gesicht. Ein großer Teil jenes „anderen Bayerns“, das nicht im Einzugsbereich von Meßglocken und Staatspartei sein Leben genießt, reibt sich vielmehr bereits vergnügt die Hände, so amüsant quälend verläuft das Fingerhakeln rund um die bayerische Staatskanzlei. CSU-nahe Bayern freilich treibt in diesen Wochen der Diadochen vor allem die Frage um, ob denn eine Ära nun endgültig zu Ende geht. Und unter den Funktionären geht die Angst um.

Nicht, daß man in der CSU Streit nicht gewöhnt wäre. Auch zu Zeiten des großen Vorsitzenden Strauß tönten aus der Lazarettstraße, dem Hauptquartier der Partei, immer wieder gequälte Schreie, verbissen sich die verschiedenen innerparteilichen Fraktionen ineinander, wurden Feindschaften und Animositäten gepflegt. Bloß schwebte über dem ganzen eben die Kraft- und Lichtgestalt des Franz Josef Strauß, die alles zusammenhielt. Da erschienen die Raufereien sozusagen nur als Zeichen dafür, daß die „Buam g'sund san“: Und eine Watschen hat noch niemandem geschadet, egal ob sie ausgeteilt oder eingefangen wird. Doch der Papa trat vor wenigen Jahren ganz überraschend ab, und seitdem traut keiner dem anderen „weiter als er spucken kann.“

Bayerische Politik – davon hat die CSU 40 Jahre gelebt – beinhaltet immer einen guten Schuß Kraftmeierei; nach innen und nach außen. Mit dem Abgang des Landesvaters Strauß war die mächtige Stimme Bayerns auch in Bonn verstummt.

Wie herrlich war es doch gewesen, Kohl immer wieder vor seinem „Männerfreund“ schlottern zu sehen. So diabolisch konnte Waigel seine Brauen gar nicht kämmen, daß er ähnliches beim Kanzler bewirkte. Und als Finanzminister der Vereinigung ist er ohnehin mehr in die Kabinettsverantwortung genommen als der polternde Ministerpräsident von einst.

Max Streibl seinerseits war zwar ohne große Schwierigkeiten Nachfolger von Strauß geworden, doch von dem Ruch, ein eher braver und frommer Oberammergauer Laiendarsteller zu sein, konnte er sich nie so recht befreien. Das schlug aufs bayerische Selbstbewußtsein, das Strauß so wunderbar über Jahrzehnte befriedigt hatte. Hinzu kam, daß durch die Vereinigung Bayern auch rein rechnerisch in Deutschland an Einfluß verlor.

Die verzweifelten Versuche, bayerisches Wesen (oder das, was man unter den Christsozialen dafür hielt) unter dem Markennamen DSU zu exportieren, schlugen fehl. Heraus kamen nur ein paar winzige und unappetitliche Grüppchen im Osten, über die sich selbst CSU-Mitglieder ärgerten.

Aber auch innerhalb des Freistaates Bayern bröselte es. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung nördlich des Mains waren der Freistaat und die CSU zwar nie so monolithisch, wie sich das in den guten alten Zeiten nach außen darstellte. Franken, Schwaben, Nieder- und Oberbayern haben durchaus eigenständige Interessen, die auch in einer machtvollen und eher zentralistischen Partei schon immer austariert werden mußten.

Doch angesichts der Verteilung der Macht auf mehrere Spitzenleute wurde das gesamte Parteigefüge nach Strauß immer komplizierter. In gewissem Sinne auch demokratischer, denn die mächtigen Provinzhäuptlinge ließen sich nun nicht mehr ganz so schurigeln wie früher.

Seilschaften wurden gebildet, Terrains abgesteckt, Allianzen gebildet, Posten verteilt. Und innerparteiliche Opposition gegen die Häuptlinge war plötzlich nicht mehr nur ein Staatsverbrechen – letztlich hat diese Opposition auch den Sturz Streibls eingeleitet.

Mit dem häppchenweisen Verfall der ohnehin nie sehr großen Autorität Max Streibls steht nun die eigentlich nach Autorität und Führung gierende Partei (lustigerweise ähnlich wie die SPD) vor dem Dilemma, einen neuen Spitzenmann gebären zu müssen, ohne ihn dabei allzusehr zu Schaden kommen zu lassen. Daß dabei mit jedem Kandidaten ein herber Verlust der alten bequemen Mehrheiten um die 60 Prozent droht, macht die Angelegenheit auch nicht einfacher.

Die Zeiten des Abonnements auf die Macht sind vorbei, daß wissen alle. Es wird die aufgeregt umherschwirrenden CSU-Abgeordneten gestern nicht unbedingt beruhigt haben, daß die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bekannt gegeben hat, und erklärte, sie wolle sich voll auf den Posten einer bayerischen Ministerpräsidentin konzentrieren.

Die Frage, die gestern in der Landeshauptstadt München alle bewegte, lautete nicht etwa: Waigel oder Stoiber? Sie lautete „Waigel, Stoiber oder Schmidt?“ Allein das zeigt, daß in Bayern neue Winde wehen. Die CSU wird sie als Stürme erleben.