„Igitt, ein Nachahmerjäckchen!“

■ Ohne Markenjeans und -turnschuhe gehen Elfjährige heute nicht mehr in die Schule / Mit einem Blick sondern sie die Spreu vom Weizen / Wer nicht die „richtigen“ Klamotten trägt, wird gnadenlos verhöhnt

Kindersachen wollen sie nie wieder tragen – da sind sich die Schüler der 6c des Kölner Schillergymnasiums einig. „John Lennon ist mein Idol“, sagt die elfjährige Julia ernsthaft. Ihre Kleidung läßt keinen Zweifel daran: silberne Nickelbrille, Poposcheitel, enges T-Shirt und schwarze Schlaghosen. 70er Jahre pur. Julias Klassenkamerad Steffen fährt sich durch seine schulterlangen Haare, so daß sein Nietenarmband gut zur Geltung kommt. Er liebt schwarze Klamotten. Nur eins ist zu Hause verboten: „Ich darf keine Totenkopfhemden tragen.“

Der Musikgeschmack entscheidet, an welchem Vorbild die Elfjährigen sich kleidungsmäßig orientieren. Wer auf alten Rock steht, geht zum Beispiel im sogenannten Müll-Look. Rockbands aus Seattle machen vor, wie man mit ausgelatschten Schuhen, ungepflegten Jeans und einer Jeansjacke mit Aufnähern so richtig „grunchy“ aussieht. Hauptsache, die alten Klamotten tragen ein Markenzeichen. „Unter 501 von Levis und Turnschuhen von Rebock oder Nike läuft nichts“, erklärt Manuel. Er ist Rap-Fan und trägt folgerichtig Baseballmütze, Jeans und Turnschuhe — natürlich nie ohne die „richtigen“ Schriftzüge darauf.

Mit Marken kennen die Kids sich aus. Namen wie „Convers, Replay, Chevignon, Impuls“ gehen ihnen leicht und rasch von den Lippen. Ihr geschulter Blick sondert mühelos C&A- oder No-name-Spreu vom Weizen. Wer schummelt, wird prompt entlarvt und verhöhnt. Da ist es wichtig, spendable Eltern zu haben. Der zwölfjährige Paul will beim Einkauf lieber nichts dem Zufall überlassen: „Meine Mutter hat den Geschmack nach dem Billigen. Mit Papa gehe ich lieber einkaufen.“

Günter Dionisius, Schulleiter eines Kölner Gymnasiums und selbst Vater eines Achtkläßlers, führt den Markenfanatismus der Schüler auf Fernseh- und Kinowerbung zurück. Er hat den Gruppendruck in der eigenen Familie erfahren. Immer wieder lehnte er ab, das Verlangen seines Sohnes nach Nikes zu stillen. Bei einem Sonderangebot griff er dann doch endlich zu. „Als mein Junior dann mit den neuen Schuhen zum ersten Mal die Sporthalle betrat, hat die ganze Klasse geklatscht und gerufen: ,Endlich hastes auch geschafft!‘“

Auf einem Elternabend hat Annemarie Finken, Klassenlehrerin einer siebten Klasse, das Thema vor kurzem angesprochen. „Erst wollte sich niemand äußern, aber dann kamen die Geschichten heraus.“ Ein Mädchen sei weinend nach Hause gekommen, weil Mitschüler sie gehänselt hatten: „Igitt, was trägste denn da für ein Nachahmerjäckchen!“

In der 6c des Schillergymnasiums streiten die meisten erst einmal ab, daß Marken-Klamotten wirklich so wichtig seien. „Levis- Jeans passen einfach besser, Nikes halten einfach länger als Treter von Woolworth“, meinen sie. Aber als Oliver beteuert, daß für ihn allein sein persönlicher Geschmack zähle, kommt Protest: „Du steckst doch immer das Hemd in die Hose, damit jeder sieht, daß du 'ne Levis anhast!“ Claudia Röttger