„So sind wir Engländer“

Endspiel im Pokalsieger-Cup: Parma - Antwerpen 3:1  ■ Aus London Ralf Sotscheck

„Zum Wembley-Stadion muß man Bond Street umsteigen“, sagte der U-Bahn-Schaffner, fügte jedoch warnend hinzu: „Das Spiel ist aber erst am Samstag.“ Er meinte das englische Pokalfinale – vom Europapokalfinale der Pokalsieger zwischen AC Parma und Royal Antwerpen wußte er nichts. Woher auch: die englische Presse würdigte das Spiel in der Vorberichterstattung mit keiner Zeile, und auch gestern wurde gerade mal Parmas 3:1-Sieg vermeldet.

„So sind wir Engländer eben“, erklärte der Kartenabreißer am Stadioneingang. „Wenn kein englisches Team mitspielt, interessiert uns das nicht.“ Royal Antwerpen hat jedoch zumindest englische Wurzeln.

Der älteste Fußball-Verein Belgiens wurde 1880 von Engländern gegründet, die im Hafen von Antwerpen arbeiteten. Viel Aufsehen hat der Club in seiner langen Geschichte jedoch noch nicht erregt. Lediglich 1989 ist es dem Team gelungen, im UEFA-Pokal bis ins Viertelfinale vorzustoßen, ansonsten war spätestens in der zweiten Runde Schluß. Besonders ungern erinnert man sich an die 8:2-Niederlage 1966 gegen die schottische Dorfmannschaft aus Kilmarnock.

Der Einzug ins Europapokalfinale 1993 war denn auch einer atemberaubenden Verkettung glücklicher Umstände geschuldet. Es fing bereits mit dem belgischen Pokalendspiel an, das Antwerpen erst nach Elfmeterschießen mit 9:8 gegen Mechelen gewann. Auch gegen Glenavon Belfast, das an schwere Schlappen gewöhnte Team aus Nordirland, reichte es in der ersten Runde im Europapokal erst nach Elfmeterschießen. Gegen Admira Wacker Wien benötigte Antwerpen die Verlängerung, gegen Steaua Bukarest verhalf ein Auswärtstor den Belgiern zum Gesamtsieg. Von den acht Spielen auf dem Weg ins Endspiel hat Antwerpen lediglich zwei gewonnen.

Die „Bekreuzigten“ vom AC Parma, wie sie wegen ihres Vereinswappens heißen, spielten vor zehn Jahren noch in der dritten Liga. Trotz geringer finanzieller Mittel – ins Tardini-Stadion passen nur 20.000 ZuschauerInnen – gelang dem Team 1989 der Aufstieg in die erste Liga. Der Vereinspräsident Pedraneschi hatte sich bei Lloyds gegen den Europapokalsieg versichert, damit er die im Erfolgsfall fälligen Prämien überhaupt auszahlen konnte.

Der englische Fußballverband als Ausrichter des Endspiels hatte sich auch versichert. Beruhigend hieß es im Programm, daß auch der Zuschauertod durch Herzinfarkt abgedeckt sei. Davon konnte am Mittwoch jedoch keine Rede sein. Selten ist ein europäisches Finale so einseitig verlaufen. Bereits nach neun Minuten erzielte Minotti das Führungstor für Parma, wobei ihm der ehemalige jugoslawische Nationaltorwart Stevan Stojanovic im Tor von Antwerpen – er hatte vor zwei Jahren mit Roter Stern Belgrad den europäischen Meisterpokal gewonnen – wertvolle Hilfestellung leistete. Zwar konnte Severeyns fast im Gegenzug ausgleichen, doch Stojanovic, der bei jeder Flanke in tiefe Panik geriet, verhalf den Italienern mit seinem zweiten kapitalen Fehler wieder zur Führung. Zu seiner Entschuldigung ist allerdings zu sagen, daß seine Abwehr wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen über den Platz hetzte. Hans-Peter Lehnhoff, der ehemalige Kölner, der das Antwerpener Spiel lenken sollte, hatte sich eine Bauchmuskelzerrung zugezogen und mußte mit Spritzen fitgemacht werden. „Das hat jedoch nichts geholfen“, sagte er nach dem Spiel zur taz.

Konnte Antwerpen in der ersten Halbzeit wenigstens noch streckenweise mithalten, spielte in der zweiten Halbzeit nur noch Parma, obwohl ihr schwedischer Spitzenstürmer Tomas Brolin völlig unauffällig blieb und seine Mitspieler sich vor dem gegnerischen Tor ständig verhaspelten. Erst fünf Minuten vor Spielende gelang Cuoghi das 3:1, als sich die Belgier mit einer stümperhaften Abseitsfalle selbst überlistet hatten.

Parmas Präsident Pedraneschi hat sich für die nächste Saison viel vorgenommen: Der Verein soll mit Hilfe von Sponsoren in die Phalanx der beiden Mailänder Teams einbrechen. Antwerpens Trainer Walter Meeuws traut ihnen das ohne weiteres zu. „Sie stehen zu recht ganz weit oben in der italienischen Liga“, sagte er. Für seine Mannschaft sei es ein Riesenerfolg, überhaupt das Endspiel erreicht zu haben. Lehnhoff stimmte ihm zu: „Wir hatten nichts zu verlieren. Die bessere Mannschaft hat gewonnen.“

Tore: 1:0 Minotti (9.), 1:1 Severeyns (12.), 2:1 Melli (30.), 3:1 Cuoghi (84.), Zuschauer: 37.000