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Singsing am Pferdearsch

■ Wie der „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ in das verschnarchte irische Dorf Millstreet gekommen ist

Der Ort sei der „Pferdearsch Europas“, lästerten die Dubliner Boulevardzeitungen. Andere höhnten, das Dorf stinke nach Kuhmist. Die Rede ist von Millstreet, einer 1.500-Seelen-Gemeinde im Nordwesten der Grafschaft Cork. Diese Region gehört zweifellos zu den ländlichsten und konservativsten Gegenden Irlands. Beim Referendum im vergangenen Oktober stimmten hier die Wahlberechtigten gegen das Recht auf Information über Abtreibung und gegen Reisefreiheit. Hier findet morgen abend der diesjährige Eurovisions-Wettbewerb statt: das internationale Festival des musikalischen Kitsches, das immerhin bis zu eine Milliarde Menschen in der ganzen Welt vor die Fernsehgeräte lockt.

Wie kommt es, so fragt man sich nicht nur in Dublin, daß das Eurospektakel zum ersten Mal in seiner 38jährigen Geschichte auf dem flachen Land abgehalten wird? Die Antwort heißt Noel Cornelius Duggan, der nach eigenen Angaben die irische Variante des US- amerikanischen Traums „vom Tellerwäscher zum Millionär“ verwirklicht hat. Das clevere Landei verließ die Schule mit 13, verkaufte 1947 die Familienkuh für 30 Pfund, finanzierte damit eine Lehre in der Stahlbranche, borgte sich dann 40 Pfund, kaufte ein Fahrrad und machte sein eigenes Geschäft auf. Später legte er sich ein Pferd zu, dann einen Traktor und schließlich einen Lastwagen. Heute gehört ihm eine Traktor-Werkstatt sowie eine der größten Stahlfirmen des Landes.

Den Profit, den Duggan machte, steckte er in Pferde. Seit 1973 finden in Millstreet jedes Jahr zwei internationale Reitturniere statt, zu denen 50.000 BesucherInnen anreisen. Vor zwei Jahren landete er dann einen Coup: Er überredete die Europäische Gemeinschaft und die irische Regierung, mehr als die Hälfte der benötigten 4,4 Millionen Pfund (knapp elf Millionen Mark) für einen Gebäudekomplex zuzuschießen, der in Europa einmalig ist. Hinter seinem Haus entstanden Reitställe, ein Wohnblock, eine moderne Halle für 5.000 ZuschauerInnen, zwei kleinere Hallen, Bars und Restaurants – alles erbaut von Duggans Stahlfirma.

Die DorfbewohnerInnen beobachteten die Aktivitäten zunächst mit Mißtrauen, zumal Duggan nach wie vor als „Zugereister“ galt — seine Familie lebt erst seit 146 Jahren in Millstreet. Bis in die zwanziger Jahre lag der Ort an der Hauptstraße von Kerry nach Cork und profitierte von dem regen Warenverkehr. Dann wurde 15 Kilometer südlich eine neue Hauptstraße gebaut. Millstreet wurde praktisch über Nacht zur Geisterstadt und verfiel zusehends. Erst die internationalen Reitturniere erweckten den Ort in den vergangenen 20 Jahren zu neuem Leben.

Duggan sieht in dem Eurovisions-Wettbewerb denn auch nur eine Zwischenstation. Es sei die „unglaublichste Werbeveranstaltung für Millstreet, die man sich vorstellen“ könne, sagt der Wohltäter. Die Idee dazu kam ihm bereits vor einem Jahr, als der letzte Eurovisionston in Malmö verklungen war und der Ire Johnny Logan den Wettbewerb gewonnen hatte. Duggan schrieb, so erzählt er, noch in derselben Nacht an das irische Fernsehen RTE und bot seine Halle an. „Verglichen mit der Anzahl der Leute, die zu den Reitturnieren kommen, ist die Organisation des Eurovisions-Wettbewerbs nur eine Teeparty“, sagt Duggan. Eine Teeparty mit Signalwirkung allerdings, so hofft er: „Das ganze ländliche Irland und all die kleinen Gemeinden in der ganzen Welt schauen auf Millstreet und schöpfen neue Hoffnung.“ Duggan präsentiert stolz 2.500 Briefe, die in den letzten Wochen bei ihm eingegangen sind: „An einem einzigen Tag habe ich Briefe aus Moskau, Griechenland, Tansania, San Francisco, dem Libanon sowie von einer Frau der saudiarabischen Luftwaffe bekommen. Alle betonen, wie wichtig es für sie sei, zu sehen, was man als kleine Gemeinde auf die Beine stellen kann.“

Längst haben sich auch die BewohnerInnen von Millstreet mit dem Gedanken an das Eurospektakel angefreundet. Der 300 Jahre alte Turm der stillgelegten protestantischen Kirche — in Millstreet ist man katholisch und verfügt über einen eigenen heiligen Brunnen, der Stotterer und Lahme kuriert — ist in ein Museum mit Café umgewandelt worden. Die einzige Straße des Ortes, an der elf Kneipen liegen, ist in den vergangenen Tagen frisch geteert worden. Und in den Schaufenstern sämtlicher Geschäfte hängen Grußbotschaften in den Sprachen aller teilnehmenden Länder.

Finanziell wird das europäische Wettsingen freilich kein Erfolg. RTE, dessen finanzielle Situation ohnehin nicht rosig ist, wird etwa 200.000 Pfund Verlust machen. So hofft man beim Staatsfunk, daß die 25jährige Dubliner Bankangestellte Niamh Kavanagh, die für Irland antritt, morgen nicht gewinnt, damit man die monströse Show im nächsten Jahr nicht schon wieder ausrichten muß. Millstreet beobachtet unterdessen argwöhnisch die zynischen Vorberichte in der Dubliner Presse. „Die haben noch nicht gemerkt, daß Städte so tot wie Sargnägel sind“, sagt ein Lokalreporter. „Die Zukunft heißt Millstreet.“ Ralf Sotscheck

Die ARD überträgt das Festival am Samstag ab 21 Uhr.

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