Dichter, Söldner, Hooligans etc.
: Gewalt im Text

■ Sechs Autoren suchen einen Zugang

Das Wetter war herrlich, draußen tobte der Münchner Lauf- und drinnen im Großen Sitzungssaal des Rathauses der Münchner Literaturmarathon. Nur der war länger, dauerte von Freitag bis Sonntag (und geht mit Lesungen gar noch eine Woche weiter). „Jeder Mensch ist ein Abgrund“ hieß der Titel des diesjährigen Symposions, das – denkt man an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, nämlich „Trinkgelage“ – zu einer vergleichsweise trockenen Angelegenheit geriet. „Gewalt, Krieg und Terror in der Literatur“, das war als Fragestellung dann doch so allgemein und unverbindlich, daß selbst eine Woche von Trinkgelagen die Sache nicht geklärt hätte. Weitaus weniger natürlich konnte dies ein braves Ringelreihen von kunterbunt zusammengewürfelten Autoren (darunter eine Frau), die nicht viel mehr vereinte, als daß sie alle in ihren Romanen auch mal etwas über die Gewalt geschrieben hatten. Welcher Autor hätte das nicht? Doch nicht genug damit, setzte die von allen guten Geistern verlassene Konferenzregie die armen Kämpen einfach einzeln an den großen Rathaustisch und ließ sie vorlesen, plaudern und sich (von jeweils einem anderen Moderator) ein bißchen ausfragen. Es war, als hätte man den Marathonläufern weder Streckenbeschreibung noch Ziel vorgegeben, sondern bloß gesagt: Na, nun lauft mal schön.

Eben dies taten dann notgedrungen die geladenen Autoren. Jeder für sich, jeder in eine andere Richtung: Ringelpietz ohne Anfassen. Wo doch zu fruchtbarem Streiten genügend Anlaß gewesen wäre. Und sei es nur über die These, die Bill Buford, Autor des Hooliganbuches „Geil auf Gewalt“ in seinem Einführungsvortrag provokativ in den Raum stellte: „Gewalt macht Spaß und ist wie eine Droge“. Doch dann erklärte Harry Mulisch („Die Entdeckung des Himmels“) als erster befragter Autor die Moral zur Sache des Lesers. „Unsere Aufgabe ist es, zu beschreiben.“ Und so ergriff die Frage der Darstellung (und nebenbei auch die Selbstdarstellung) endgültig vom Symposion Besitz. Häppchenweise wurden zweieinhalb Tage lang verschiedene literarische Zugänge zur Gewalt von Schweden bis Watts, L. A., abgehandelt. Ein Zusammen (Sym!)- prallen, -treffen, -kommen fand nicht statt.

Referieren wir also: Die Schwedin Brigitta Trotzig, die in ihrem Roman „Die Krankheit“ die Geschichte eine Lustmörders erzählt, interessierte sich vor allem für die individuelle Seite der Gewalt und sah den Schriftsteller als Schauspieler, der sich in den Jago wie den Othello einzufühlen habe. Alexander Tišma, Sohn eines Serben und einer ungarischen Jüdin, las eine eindringliche KZ-Szene aus seinem Roman „Der Gebrauch des Menschen“, war aber trotz lauten Einklagens eines Zuhörers nicht bereit, sich zur gegenwärtigen Gewalt im Ex-Jugoslawien zu äußern. Auch er wollte den Schriftsteller nicht als Richter, vertraute aber dann in seinem Abschlußbeitrag doch etwas sehr treuherzig darauf, daß gute Literatur einfach nicht böse, rassistisch oder gewalttätig sein könne.

Der russische Autor Jus Aleschkowski wurde in einer eher ermüdenden Samowar-Diskussion von seinem in Deutschland lebenden Landsmann Boris Chasanow dazu gezwungen, die Anleihen bei der Gaunersprache in seinem zeitgeschichtlichen Roman „Die Hand“ zu rechtfertigen. Das führte zu ein paar allgemeinen Überlegungen über die sinnentleerte Phraseologie der Partei, der gegenüber sich die Menschen nur mit Jargon (Mat) widersetzen könnten und konnten.

Historisch und politisch tiefer ging da der in Englisch schreibende Nuruddin Farah aus Somalia. Als Vertreter eines Landes der armen Welt erklärte er die dort heute herrschende Gewalt als Funktion des Kolonialismus. Die „Zerstörung der Seelen“ von damals wirke weiter und äußere sich in den afrikanischen Diktaturen in einer gewalttätigen „Implosion“. Sein jüngster Roman „Maps“, der im somalischen Befreiungskrieg der siebziger Jahre spielt, hat eben diese Zerstörung zum Thema, unter der auch Farah selbst gelitten hat. Seit fast 20 Jahren lebt er im Exil.

Am diskussionsfreudigsten von allen Autoren zeigte sich der Amerikaner Walter Mosley, Jude und Schwarzer in Personalunion. Sein breit angelegtes Projekt, die Geschichte der Schwarzen von Watts in neun Kriminalromanen aufzuzeichnen, erscheint reizvoll und vielversprechend. Das dabei Rassismus und Gewalt zentrale Themen sind, ergibt sich aus der Geschichte selbst. Denn „Freiheit in Amerika, das ist die Freiheit der Weißen.“ Mosley gelang es immerhin, ein wenig Pep in die gemeinsame Abschlußdebatte zu bringen, als er eine Größe wie Joseph Conrad des Rassismus beschuldigte. Nur waren da Autoren wie Zuhörer schon zu erschöpft, um noch wirklich nachzuhaken. Ach hätte man doch diese gemeinsame Diskussion an den Anfang gestellt! Für eine fruchtbare Auseinandersetzung muß man sich zusammensetzen. In München wurde diesmal vor allem vorgesetzt. Thomas Pampuch