Die Niederlage der Stadtplaner

■ betr.: "Drive-in in die Marktwirtschaft", taz vom 8.5.93

betr.: „Drive-in in die Marktwirtschaft“, taz vom 8.5.93

[...] „Die Stadtplaner können vom ,Prinzip Saalepark‘ lernen, wie Stadt erfolgreich organisiert werden kann“, so Professor Gleye. Der Organismus „Stadt“ als komplexer Lebensraum für Menschen wird hier also sofort gedanklich reduziert auf die Teilfunktion des Warenumschlagplatzes. Es ist sehr wohl richtig, daß wir uns mit dieser Entwicklung befassen müssen. Auf einer anderen Ebene hat dies vor fast 30 Jahren ein amerikanischer Kollege von Paul Gleye getan, der Architekt Venturi.

„Main street is almost allright“, so die Aussage von Venturi, war der Versuch, die Architektur der von Reklamezeichen dominierten amerikanischen Einkaufsstraßen zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen. Der anonyme Alltag und seine Dinge, die er hervorbringt, wird als formgebende Kraft anerkannt (auch die Werke von Lichtenstein und Warhol sind Teil dieses Aneignungsprozesses). Diese Anleihen aus der Wirklichkeit nun werden architektonisch umformuliert und zu einer eigenen Formensprache umgestaltet. Damit werden sie aber gleichzeitig ihrer alten Umgebung beraubt und können eine neue, eigenständige Qualität gewinnen. Eine Qualität, die befähigt, in kritischer Distanz die eigene Umgebung wahrzunehmen.

Berichtet ein Städtebauprofessor heute über diese Glitzerwelt des Konsums, so sollte er wenigstens so umfassend und kritisch distanziert denken wie Venturi, der zumindest die formalen Begrifflichkeiten in seinen Architekturaussagen bewältigt hat.

Professor Gleye hat also die „Botschaft“ der Architekten des Saaleparks erkannt. Die Besucher sollen das Einkaufszentrum auf der grünen Wiese mit der „Stadt“ verwechseln, sollen vorgemacht bekommen, „was schön ist“. Soweit die entschlüsselte Message der Architektur. Die Message des Städtebauprofessors aber ist: „Eine demokratische Gesellschaft kann ihre Mitglieder nicht zwingen, nur in ihrem Dorf oder ihrer Stadt einzukaufen.“ Und weiter, „alles muß heute diskutiert werden“. Dieser Gesinnungspluralismus von Professor Gleye aber hat ziemlich verquere Grundlagen und folgenschwere Auswirkungen. Zum einen wird das hemmungslose Durchsetzen von Kapital in Planungsprozessen mit Demokratie gleichgesetzt. Der Bau eines Konsumtempels, so wird suggeriert, entspräche der demokratischen Willens- und Lebensäußerung der hier lebenden Menschen.

Zum anderen werden die Folgen solcher städtebaulichen Auswüchse verschwiegen oder nicht gesehen: finanzielle Folgen, die die Gesellschaft zu tragen hat (infrastrukturelle Einrichtungen, Erschließungskosten etc.), ökologische Folgen (Erzwingung des ungehemmten individuellen Autoverkehrs, Kosten zu Lasten des einzelnen), soziale Folgen (Zerstörung einer kleinvernetzten Versorgungsstruktur zu Lasten der sozial Schwächeren) usw. Sofern das Interview nicht folgenschwer gekürzt wurde, muß man leider feststellen, daß diese Botschaft des Lehrenden seine Jünger nicht dazu befähigen wird, in eigener Verantwortung gegenüber den Problemen unserer Zeit Stellung zu beziehen. Wolf-Winhart Krug, Architekt und Stadtplaner, Darmstadt