„Das Hirn der Mafia treffen“

■ Leoluca Orlando, Vorsitzender der italienischen Anti-Mafia-Partei „La Reté“, über die Mafia, Andreotti und Craxi

taz: In den letzten Monaten wurden zahlreiche Mafiabosse verhaftet. Steht die Mafia vor ihrem Ende?

Orlando: Mit Toto Riina wurde ein wirklicher Capo verhaftet. Aber Riina ist nur der Chef des militärischen Arms der Mafia. Solange wir nicht das politische und das ökonomische Hirn der Mafia treffen, bleibt die Verhaftung Riinas eine wichtige Sache, aber keine entscheidende. Deshalb ist die Untersuchung der Verbindung zwischen Giulio Andreotti und der Mafia so wichtig.

Was muß geschehen, um die Mafia endgültig zu besiegen?

Zu allererst müssen die Verbindungen zwischen Mafia und Politik gekappt werden.

Das geschieht doch bereits.

Man beginnt damit. Als Andreotti die Vorladung vor Gericht wegen seiner Verbindungen zur Mafia erhielt, empfand ich maßlosen Zorn.

Nicht Befriedigung?

Nein, Zorn. Ich habe daran gedacht, wie anders und besser Italien wäre, wenn man diese Untersuchung vor 15 Jahren gemacht hätte. Es ist gut, daß diese Untersuchung jetzt gemacht wird. Aber sie kommt spät. Die Politiker haben ihre Pflicht nicht getan. 1984 wurde Andreotti nicht verurteilt, weil die Kommunistische Partei sich im Parlament bei der entsprechenden Abstimmung der Stimme enthielt.

Ändert die Mafia jetzt ihre Strategie?

Die Mafia verlagert ihre Aktivitäten von den Drogen zu den Waffen. Sie nutzt die Waffenarsenale des Ostens. Auch in der Vergangenheit war die Mafia im Waffengeschäft tätig. Aber sie hat die Waffen nur als Zahlungsmittel gebraucht, um das Drogengeschäft zu finanzieren. Jetzt sind die Waffen das Hauptgeschäft der Mafia. Dieses Geschäft ist viel lukrativer, viel einfacher zu bewerkstelligen und viel gefährlicher.

Wie meinen Sie das?

Im Drogengeschäft tritt man in Kontakt mit Millionen Menschen. Das internationale Waffengeschäft betrifft aber nur sehr wenige Personen. Es ist unangreifbarer. Mit dem Drogengeschäft kontrolliert die Mafia nur einige wenige Staaten, wie zum Beispiel Kolumbien. Mit dem Waffengeschäft tritt die Mafia in Kontakt mit Dutzenden Regierungen aus Ländern der Dritten Welt. Im Handel befinden sich schon angereichertes Uran, Cäsium, Plutonium, die man zum Bau von Nuklearwaffen braucht. Im vergangenen Herbst flog ein solches Waffengeschäft in München auf. Man hat 2,2 Kilo angereichertes Uran für 20 Millionen Dollar verkauft.

Die Mafia scheint in Italien ihre politischen Stützen zu verlieren. Wie wird sie darauf reagieren?

Hauptsächlich wird sich die Mafia politische Freunde mit neuen Mitteln suchen. Früher traf sich ein politischer Pate mit einem mafiosen „Paten“, der Politiker erhielt Wahlstimmen und gab Straffreiheit. Jetzt besteht die Gefahr, daß sich ein Klima der Illegalität durchsetzt. Dann könnten wir ein enges Verhältnis zwischen einem hohen Politiker und einem Mafiaboß haben, ohne daß sich diese je treffen müßten.

Besteht nicht die Gefahr, daß selbst eine erneuerte Politik die Mafia nicht besiegen kann?

Es gibt nur einen Weg, um diese Gefahr zu vermeiden: Wir müssen mit unserem täglichen Verhalten beweisen, daß es keinen Spielraum für die Kriminalität gibt. Wir müssen unnachgiebig gegenüber den Politikern sein, die ein ungeklärtes Verhältnis zur Legalität haben. Deshalb gehören „tangentopoli“ und „mafiopoli“ zusammen. Deshalb sind Craxi und Andreotti zwei symbolische Fälle.

Von der Korruption hat doch jeder Italiener gewußt. Warum kam alles so plötzlich?

Weil die Mauer in Berlin gefallen ist. Damit fiel auch die international geltende Straffreiheit für führende Persönlichkeiten. Jahrelang blieben die Männer der Nomenklatura wie die Symbolfiguren Andreotti und Craxi ungeschoren. Sie blieben straffrei, weil sie behaupteten, die Demokratie, die Freiheit und den Westen zu verteidigen. Jetzt aber weiß ein Carabiniere, ein Richter, ein Staatsanwalt, daß er seine Pflicht tun kann. Er kann Verbrechen verfolgen, auch wenn es die Verbrechen eines Mächtigen sind. Interview: Ulrich Ladurner